Die Rueckkehr des Henry Smart
der Mitgift?
– Welche Mitgift?
– Verdammt, warum hast du die Geschichte nicht gelesen? sagte Ford. – Mitgift muss sein.
– Was ist eine Mitgift?
Er beugte sich kurz vor und nahm einen Zettel aus der Gesäßtasche. Er hielt ihn dicht vors Gesicht, schob die Brille hoch. Zwischen seinen Augen und dem Zettel waren knapp zwei Zentimeter.
– Kann Metas Gekrakel nicht entziffern.
Er hustete. Er las.
– Mitgift. Substantiv. Geld oder Güter, die von der Braut mit in die Ehe gebracht werden. Ursprünglich mittelenglisch.
– So weit klar? fragte er.
– Yeah.
– Bestens. Von wegen mittelenglisch. Es ist eine irische Tradition. Was hat sie also mitgebracht?
– Nichts.
– Nichts?
– Nur sich selbst.
Ich sah sie jetzt. Spürte sie – nein, doch nicht, aber ich erinnerte mich an ihre Haut, ihre Wärme, ihren Atem. Ich konnte sie mir zusammensetzen, hatte Worte und Bilder. Ich war im Tipi, nicht in Dublin oder Roscommon. Und da wollte ich bleiben, in diesem Scheißtipi. Wollte mein Leben wieder auf die Reihe kriegen, meine Geschichte erzählen. Aber ich wollte nicht wieder in sie hineinkriechen oder mir auch nur einbilden, dass ich das könnte. Ich wollte nur vernünftig weiterleben.
Er wartete und sah mich an.
–
Macushla
, sagte ich.
– Das Lied von John McCormack?
– Das hat ihr gefallen.
– Na also, sagte er.
Er summte ein Stück daraus.
– Könnte hinkommen, sagte er. – Handelt eigentlich davon, wie einer es mit einer Toten treibt, aber es ist brauchbar.
– Gut.
– Keine Mitgift?
– Nein.
– Wir brauchen diese Spannung, verstehst du. Der Bruder will die Mitgift nicht rausrücken, deshalb lässt sie ihren Macker nicht an sich ran – Zutritt verboten, du verstehst –, bis sie die Mitgift hat. Also kämpft er mit dem Bruder. Jagt ihn durch die Gegend. Peng peng. Zwanzig Minuten lang. Ergattert die Mitgift und schmeißt sie ins Feuer.
Er setzte sich auf.
– Sie braucht die Mitgift, sagte er. – Der Kampf ist wichtig. Wir müssen ihre Wut sehen, das rote Haar.
– Sie war in der IRA, verdammt noch mal. Wie viel Wut verlangen Sie denn noch?
– Mary Kate, sagte er.
– Wer?
– Wie gesagt – die Frau braucht einen Namen.
Ich sah ihn an. Er sah mich an.
– Okay, sagte ich.
– Okay?
Ich nicke einmal. Wenn ich ihm den Namen schenkte, würde es meine Story bleiben.
– Toll, sagte er.
Er war glücklich. Er liebte den Namen, das sah ich ihm an. Er ließ ihn auf der Zunge zergehen.
– Yeah, sagte er. – Mary Kate. Zwei Namen. Reicht für zwei Prachtweiber. So sagt ihr doch in Irland, nicht? Prachtweiber.
Ich schwieg.
– Das O’Shea-Thema ziehen wir trotzdem durch, sagte er. – Aber dann findet er raus, dass sie Mary Kate heißt. Gleich, nachdem sie Mary Kate Smart geworden ist und ihr Bruder die Mitgift nicht rausrücken will.
– Sie hatte keinen Bruder, sagte ich.
– Was denn dann? Der Papa ist tot – muss tot sein. Wer hat sie dem Bräutigam übergeben?
– Ihr Vetter.
– Wir können ja einen Bruder draus machen.
– Nein.
– Der Mann im Haus. Großer Kerl. Arbeitet mit den Briten zusammen. Klingt überzeugend. Wir können dem einen Kopfschuss verpassen.
– Moment, sagte ich und holte das Notizbuch raus.
IVAN REYNOLDS schrieb ich. Ihr Vetter. Ich blätterte ein paar Seiten zurück und fand die Stelle. MISS O’SHEA. Darunter schrieb ich NICHT MARY KATE.
Er nickte zu dem Notizbuch hin.
– Du schreibst dir da Sachen auf.
– Yeah.
– Denk dran, was ich gesagt habe. Es muss alles in zwei Stunden passen – höchstens. Wir brauchen Abkürzungen.
Er streckte die Hand aus. Er wollte das Notizbuch haben.
– Komm schon, sagte er. – Gegessen hab ich schon. Ich will’s mir ja nur ansehen.
Ich überließ es ihm. Er schlug es auf und hielt es sich dicht vors Gesicht. Er schob die Brille hoch.
– Ist ja toll, sagte er.
Er brabbelte vor sich hin. Er blätterte.
– Namen, sagte er. – Namen. Erzähl von Victor.
– Mein Bruder.
– Yeah.
– Er ist gestorben.
– Er stirbt, und du greifst zu den Waffen. Das ist gut.
– Da gab es Hunde, sagte ich.
– Himmelnochmal. Die haben ihn gefressen?
– Nein, sagte ich. – Nein.
Ich erinnerte mich. Ich ging weiter zurück. Ich hörte die Ratten. Ich spürte, wie sie mir aus den Fingern glitschten. Ich musste mir immer wieder sagen, dass ich noch im Tipi saß. Dann erzählte ich ihm von den Hundekämpfen und den Ratten, die ich und Victor gefangen hatten, um die Hunde aufzugeilen, ehe sie
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