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Die Rueckkehr des Henry Smart

Die Rueckkehr des Henry Smart

Titel: Die Rueckkehr des Henry Smart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roddy Doyle
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Herz ausgeschüttet? Ich konnte Nein sagen, aber nur, weil ich mich nicht erinnerte.
    Sie war über ihre erste Jugend hinaus und in jener zweiten, die kein definitives Ende hat. Sie mochte dreißig sein – jünger auf keinen Fall –, aber unter den jungen Burschen vom Land gab es keinen, der behauptet hätte, dass sie ihre besten Jahre hinter sich hatte.
    Das passte ziemlich gut auf Miss O’Shea. Sie war nicht mehr jung, als ich sie zufällig im Haus ihrer Mutter in Roscommon wiedertraf. Sie war krank gewesen, aber sie war schön, da draußen auf dem Feld, als ich mich –
zwei und zwei?
– umgedreht und sie entdeckt hatte, eine Frau, viel älter als ich, aber noch nicht alt.
    Ich las weiter, aber je mehr ich las, desto weniger Sorgen musste ich mir machen.
    Ihm und ihm allein oblag die Aufgabe, aus ihr eine Ehefrau und Geliebte zu formen.
    Bei der Vorstellung, Miss O’Shea zu formen, musste ich lachen. Die hätte mir schön was erzählt! Jetzt konnte ich mich entspannen. Ich las, weil es eine Geschichte war. Und ich las sie bis zum Ende. Ich ließ das Blatt sinken. Es war dunkel.
    Ich hatte mir Sorgen gemacht. Ich hatte eine Riesenangst gehabt, dass ich in der Geschichte vorkommen würde, zusammen mit Miss O’Shea. Dass mein Leben schon erzählt wäre. Es war die Angst, dass ich sie nicht erkennen, dass ich die Geschichte lesen und mich selbst nicht erkennen würde, einerlei, wie oft ich sie las oder mein Gedächtnis strapazierte.
    Aber die Geschichte handelte gar nicht von mir. Das spürte ich, und ich streckte mich. So hatte ich mich nicht mehr gedehnt und gestreckt, seit ich ein junger Kerl gewesen war. Die Freude, der Stolz – die schiere Länge dieses Prachtburschen –, ich streckte mich und hörte nichts knacken. Ich konnte durchatmen, konnte mich erholen. Ich war noch intakt.
    Dann kam die Wut.
    Der Mann in der Geschichte, dieser Shawn Kelvin, Stahlarbeiter und Boxer, kommt aus Pittsburgh zurück nach Irland. Er lässt sich dort häuslich nieder und heiratet Ellen O’Grady, eine bildhübsche Person mit aufbrausendem Wesen und scharfer Zunge. Ihr Bruder, Big Liam – ausgerechnet! –, will sie aus dem Haus haben, damit er sich eine andere Frau reinholen kann, eine Witwe mit Kohle. Auch eine Mitgift gibt es – die Scheißmitgift, die Ford versucht hatte mir einzureden. Das mit der Mitgift war Kelvin egal, ihm genügte die Frau. Aber damit war Ellen nicht einverstanden, sie verlangte das, was ihr zustand. Eigentlich hätte es jetzt zum Streit kommen müssen, weil Big Liam sich weigerte, das Geld auszuspucken. Aber Kelvin wollte sich nicht mit Big Liam anlegen. Ellen schämte sich für Kelvin, von jetzt ab war er bei ihr abgemeldet – in jeder Beziehung! Also verlangte Kelvin vor der Frau und Big Liams Knechten, Big Liam solle das Geld rausrücken. Er könne seine Schwester zurückhaben, sagte er, alle Abmachungen seien null und nichtig. Er schmiss sie mehr oder weniger vor Big Liam in den Mist. Liam rannte los und kam mit dem Geld zurück. Kelvin nahm es, ohne einen Blick draufzuwerfen, und lief geradewegs zum Dreschkasten, keine Ahnung, was das genau war, wohl irgendein Gerät für die Landwirtschaft mit kohlebefeuertem Motor. Ellen kam ihm zuvor. Sie machte die Tür zur Feuerkammer auf und trat zurück, damit Kelvin die Scheine ins Feuer werfen konnte. Big Liam stürzte sich auf Kelvin, aber – na klar doch! – Kelvin schickte ihn mit ein paar gut gezielten Treffern zu Boden. Kelvin schüttelte sich die Schweißtropfen vom Nacken, drehte sich zu seiner Frau um, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.
    Und John Ford hatte sich eingebildet, zu so was könnte er mein Leben verbiegen! Könnte das Leben und Treiben von Henry Smart zu einer Prügelei auf einem Scheißbauernhof runterkochen, bei der es um ein paar Pfund ging und um das Recht, mit einem hübschen Bauernmädchen in die Kiste zu springen.
    Ich würde ihn umbringen, der sollte seine Schlussszene kriegen. In Grund und Boden würde ich ihn prügeln.
    Ich ging wieder zu den Republic Studios. Zu Fuß. In einen neuen heißen Tag hinein.
    Aber Ford war nicht da.
    Er war nie da. Und dann wirklich nicht mehr. Er war weitergezogen, in ein anderes Studio. In Fords Bungalow bei Republic saß ein anderer Regisseur. Ein jüngerer Mann mit einer jüngeren Sekretärin, die angeblich noch nie von Mister Ford gehört hatte. So knackig sie aussah – die Frau war knallhart. Die Botschaft war klar: Man würde mich holen, wenn ich

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