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Die Rueckkehr des Henry Smart

Die Rueckkehr des Henry Smart

Titel: Die Rueckkehr des Henry Smart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roddy Doyle
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Bürgerkrieg verloren, aber letztlich gesiegt. Das Land gehörte ihnen, und sie standen stramm, als die Fahnen gehisst wurden und die Alten vorbeimarschierten.
    Sogar Ivan Reynolds bekam ich zu sehen. Ich setzte mich auf und musste lachen.
    Das war im Pub, wo ich mich an einem Bier festhielt.
    Er saß in einer Diskussionsrunde, massig und kurzatmig, erdrückt von seinen eigenen Fettpolstern. Hören konnte ich ihn nicht, der Fernseher lief ohne Ton. Er war Minister, für Post und Telekommunikation oder so was Ähnliches; Fischereiwesen, Kommunalverwaltung – nur noch ein, zwei Schritte von den wichtigen Jobs entfernt. Ich hatte den Eindruck, dass er seine Tage an der Macht nach Kräften genutzt hatte. Es war ein Schwarzweißfernseher, und trotzdem kam Ivan rot und glänzend rüber. Als ich Ivan das letzte Mal gesehen hatte, im Jahr 1921 – da hatte er Rémy Martin aus der Flasche gesoffen –, hatte ich bei ihm auf einen frühen Tod getippt. Aber er war alles andere als tot. Ich sah ihn mir an und überlegte, ob ich Lust hatte, ihn wiederzusehen, ihm die Hand zu schütteln, mir seine blöden, schleimigen Sprüche anzuhören.
    Nein, auf keinen Fall.
    Und ich wollte auch keinen Orden. Ich wollte nicht marschieren oder vielmehr hoppeln.
    Aber die Versuchung war da.
    Ich lag neben ihr. Und ich hätte ihr gern gesagt
Ich weiß, wer du warst.
    Aber ich ließ es sein.
    Die Osterwoche verging. Die Aufrufe hingen immer noch an der Schule und hinter der Theke des
Manhattan
. Aber die meisten Fahnen wurden eingeholt oder fransten aus, zerfielen durch Wind und Wetter.
    Ich sah Missis O’Kelly an und war meiner Sache nicht mehr so sicher. Sie war eine alte Frau, der einmal in der Woche ihr Mann fehlte. Eine rüstige Alte mit gerader Haltung – mehr nicht. Sie war nie jemand anders gewesen.
    Ich war meiner Sache nicht sicher.
    Einmal die Woche wurde ich zu ihrem Mann. Einmal die Woche konnte sie meine Frau sein. Das war in Ordnung. Toll war immer der Heimweg. Ich wurde zwar älter, aber er fiel mir nicht schwerer. Ich kletterte weiter über Mauern, plumpste in nagelneue Gärten ohne Rasen. Ich war fast fünfundsechzig, aber die Herausforderung reizte mich nach wie vor, der Schleichweg nach Hause, vorbei an immer mehr Vorortfenstern, das schwarze Fahrrad auf dem Rücken.
    Das Leben in der Republik Henry lief weiter gut. In den Wochen vor Ostern hatte es vermehrt Körperstrafen gegeben. Es galt Rebellenlieder und -klagen zu lernen, und die Zeit war knapp. Meist schritt ich nicht ein. Ich wusste, wie tödlich es war, dass die Jungs
A Nation Once Again
und
Kevin Barry
für immer mit einem pickelstirnigen Lehrer vom Land in Verbindung bringen würden, einem Verrückten, der in einer Wolke aus Kreidestaub und Schuppen herumsprang, seine Stimmgabel schwang und sie windelweich prügelte. Das würde sie später, wenn sie erwachsen waren, zu echten Rebellen machen. Deshalb blieb ich lieber draußen und ging zum ersten Mal im Jahr mit dem Rasenmäher über den Fußballplatz.
    Dann war alles vorbei, und ich ließ ein paar der Lehrer wissen, dass es Zeit für eine Waffenruhe war. Sie sahen mich an und nahmen sich meinen Rat zu Herzen, und in der Schule lief alles wieder normal. Sie wussten nicht – außer Strickland, der hat es wohl gewusst –, dass sie dabei waren, eine neue Mittelschicht heranzuziehen, die blitzgescheit und hungrig war, die bald erwachsen sein und das Land übernehmen würde – Dublin-Kids, die Söhne von Eltern aus den Slums. Dann konnte ich mich zurücklehnen und zusehen, wie sie die Zügel übernahmen, sie würden die Freude meines Alters sein.
    Aber es gab auch verlorene Tage, an denen ich auf dem Fußboden aufwachte und wusste, dass ich herumgeirrt war, irgendwo. Ich kramte in meinen Taschen, sah aus dem Fenster ins Licht, griff mir ans Kinn und tastete nach den Stoppeln. Ein, zwei Tage waren einfach weg. Auf dem Fußboden zu Hause. Nie in der Schule, nie auf der Straße. Oder ich wachte auf meinem Bett auf, vollständig angezogen, nur ohne Jacke, mit gelockertem Kragen. Auf dem Küchentisch stand Essen. Frisches Brot, ein halber Liter Milch.
    Irgendjemand kümmerte sich um mich.
    Ich schaute mir Gesichter an, die ich kannte und von denen ich manche mochte, Gesichter, denen ich jeden Tag begegnete. Sie alle sahen mir nicht danach aus, als wüssten sie was.
    Ich wachte in Missis O’Kellys Bett auf. Ich wusste, wo ich war, aber draußen war heller Tag. In diesem Licht hatte ich das Zimmer noch nie gesehen. Unten

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