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Die Rueckkehr des Henry Smart

Die Rueckkehr des Henry Smart

Titel: Die Rueckkehr des Henry Smart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roddy Doyle
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wollte.)
    – Ich brauche den Stiefel, sagte ich. – Es ist Krokoleder.
    Ich hob den anderen Fuß hoch oder versuchte es, aber ich war angeschnallt. Sie machten die Hecktüren zu.
    – So wie der hier, sagte ich.
    Ich war allein.
    Nein, doch nicht.
    Neben mir war noch eine Matratze. Ich konnte sie anfassen. Der obere Gurt ging über meine Brust, aber Hände und Arme hatten sie frei gelassen. Ich konnte den Kopf drehen und sah, dass ich den Krankenwagen mit einer Leiche teilte. Ob Mann oder Frau, war nicht auszumachen, aber das, was da unter der Decke lag, musste mal ein Erwachsener gewesen sein. Ich sah nicht mehr hin.
    Sie holten mich aus dem Krankenwagen und trugen mich mitten hinein in den Lärm, der entsteht, wenn Menschen versuchen, ihren Schmerzen zu entkommen. Zu vergessen, dem allen zu entfliehen, wieder ans Wetter zu denken und den Nachmittag und die Aussicht auf die kommende Nacht, eine Tüte Kartoffelchips, eine Frau oder einen Freund. Neben mir stand ein Priester. Ein junger Kerl, der sich noch schnell rasiert hatte, als der Anruf gekommen war. Ich roch das Aftershave. Er schien zu beten, sagte Sachen auf Latein und legte mir einen öligen Finger auf die Augen. Ich ließ es mir gefallen und sagte nichts. Er bereitete mich aufs Sterben vor. Ich sträubte mich nicht.
    Das Krankenhaus kannte ich nicht. Es kann das Mater gewesen sein oder das Richmond oder das in der Jarvis Street. Sogar die Rotunda, die Frauenklinik, nahm Verwundete auf. Die Neugeborenen der Northside purzelten an dem Abend in eine Hölle hinein. Ich kann mich nicht daran erinnern, wie ich das Krankenhaus verlassen habe oder wie lange ich drin war.
    Suchende kamen – Mütter, Ehemänner, Töchter. Ich wäre gern der gewesen, nach dem sie suchten. Ich wollte ihnen die Angst aus dem Gesicht nehmen. Sie liefen an mir vorbei und gingen wieder. Und auch andere kamen. Sie sahen dahin, wo unter der Bettdecke das Bein fehlte, und setzten sich zu mir.
    – Wie war es?
    – Fürchterlich, sagte ich.
    Ein lahmes Wort, alle Worte waren lahm. Aber etwas Besseres fiel mir nicht ein. Es klang okay.
    Ich hätte den Mund halten sollen.
    – Sie sind Henry, nicht?
    – Ganz genau.
    – Muss ein Schock gewesen sein.
    Sie war jung. Zu jung, um sie zum Interview mit einem Toten zu schicken.
    – Fürchterlich, sagte ich noch einmal.
    – Henry Smart, sagte sie.
    – Genau.
    Ich war Henry Smart, seit ich vor zwanzig Jahren heimgekommen war. Ich hatte mich nicht versteckt.
    – Ich weiß alles über Sie, sagte sie.
    – Nein, wirklich?
    Ich konnte mich nicht aufsetzen. Ich wusste, wer ich war, aber ich spürte nichts von den Schmerzen, die alle spürten, wenn sie mich ansahen.
    – Hat es Sie an 1916 erinnert? fragte sie.
    – Das wissen Sie also auch?
    Freute ich mich? Nein, ich war restlos begeistert.
    – Ja, sagte sie.
    Ich versuchte mich aufzurichten.
    Sie legte ihren Block aus der Hand und beugte sich vor. Kurz dachte ich, sie wolle sich zu mir legen. Ich ließ mich zurückfallen, damit sie Platz hatte, ich bildete mir doch wahrhaftig ein, dass mir die erste große Nummer seit Ende der dreißiger Jahre bevorstand, mit einem jungen Ding, das damals noch nicht mal geboren war. In einer Station voll gebrochener Männer, die sich die größte Mühe gaben, nicht zu sterben.
    Es war ein ziemlicher Schlag, als es nicht passierte. Als sie mit einer Hand eine meiner Hände nahm und die andere um meinen Ellbogen legte und ich ihr Mitgefühl und eine Spur Ekel sah. Sie richtete das Kissen hinter mir, und ich roch das Parfüm oder Deo, das sie aufgesprüht hatte, ehe sie aus der Wohnung gestürmt war, um zu mir zu kommen. Auch die Wohnung sah ich vor mir. Sie zeigte mir alles ... Ich war ein bescheuerter Idiot!
    Sie nahm Block und Bleistift wieder in die Hand.
    – Sie waren in der Hauptpost, sagte sie.
    – Das ist lange her.
    – Wie war das?
    – Wenn Sie das wissen wollen, brauchen Sie mehr als den Block da.
    Sie lächelte.
    – Legen Sie los.
    Ich verdichtete eine wichtige Woche zu fünf Minuten. Ich sah, wie sich die Seiten mit ihren Notizen füllten, und rasch regte sich bei mir das schlechte Gewissen. Sie war ein kleines Mädchen, das seine Hausaufgaben machte. Das war ihre Chance. Also erzählte ich, damit sie ihren Block vollschreiben konnte. Sie sah auf, lächelte, nickte.
    – Weiter!
    Und das tat ich.
    Ich spulte einen Tag nach dem anderen ab, erzählte, wie das Gebäude von innen angefangen hatte zu brennen, wie das schmelzende Glas der Kuppel auf die

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