Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rueckkehr des Henry Smart

Die Rueckkehr des Henry Smart

Titel: Die Rueckkehr des Henry Smart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roddy Doyle
Vom Netzwerk:
richtige Zeit zum Laut- und Irischsein – das Goldene Jubiläum. Es war eine Versuchung. Ich guckte mir die Paraden der Alten in ihren gereinigten Anzügen und dem bisschen Uniformkram an, den sie noch hatten. Ich schaute sie mir genau an, kannte aber nicht mal die Hälfte, weniger als ein Viertel oder Achtel, von ihnen, wie sie da mit ihren Medaillen und Schlapphüten standen. Ich setzte mich ins
Manhattan
, als die Nachrichten liefen, rückte ganz nah an den nagelneuen Fernseher ran und suchte nach alten Bekannten. Ein oder zwei fand ich – junge Männer, die aus den alten Gesichtern guckten. Zwei oder drei, vielleicht vier erkannte ich unter den Hunderten, den Tausenden, die ihre Orden und ihre IRA-Pensionen kassiert hatten und auf den Straßen herummarschierten, so gut es noch ging. Ich sah sie durch Gegenden stapfen, die nie einen Fliegenschiss auf die Freiheit Irlands gegeben und wahrscheinlich immer noch nicht gemerkt hatten, dass die Briefkästen jetzt anders angestrichen waren. Das waren meine Orden.
    Sogar in Ratheen versammelten sie sich am Ostersonntag, um gemeinsam zur Kirche zu ziehen. Als ich mich durchzwängte, hörte ich Stimmen, die sich gegenseitig daran erinnerten, wie Dan Breen beinah in dem sicheren Haus auf der Main Road erwischt worden wäre, wie er im Kugelhagel über die hintere Mauer gehechtet war, während drei Tans tot im Garten liegen blieben und ihr Blut in den Teich floss. Jaja, nickten alle, wir waren dabei, sind mit Dan über die Mauer geklettert. Ich kannte diese Gärten, über die meisten Mauern war ich selber mal geklettert, für so viele Maulhelden wäre gar kein Platz gewesen. Von denen war keiner in der Hauptpost gewesen oder an einem der Orte, die in jener Woche, in jenen fünf Tagen oder den sechs bedeutenden Jahren danach, wichtig gewesen waren.
    Ich betrat die Kirche und merkte, dass ich schlimmer als sonst hinkte. So schlimm war es nicht mal damals mit dem frischen Stumpf gewesen, als ich das Laufen neu hatte lernen müssen. Meine Rechtfertigung brachte ich mit.
Ich war dabei,
hätte ich gern gerufen
. Ich war in der Hauptpost. Ich war auf dem verdammten Dach. Ich hab’s in einem Raum voller Briefmarken getrieben.
    Missis O’Kelly marschierte mit, in ihrer Cumann-na-mBan-Uniform und mit einer beachtlichen Reihe von Orden. Die einzige Frau in der ganzen Bande. Und ihr nahm ich es ab – sie war dabei gewesen. Irgendwo. Man sah es an ihrem Rücken und ihren Augen. Ich hatte sie vor fünfzig Jahren gekannt, aber erst jetzt, obwohl ich jahrelang jede Samstagnacht mit ihr geschlafen hatte, war ich meiner Sache sicher. Ich hatte ihre Stimme gekannt, als sie jung gewesen war und ich jünger, in der Hauptpost und schon Jahre davor. Ich hatte sie gekannt, ehe sie Missis O’Kelly gewesen war, bestimmt. Nun war ich mir sicher – fast hundertprozentig. Ich kannte ihre Familie, ich kannte den schlammigen Morast, aus dem sie kam. Aber dann guckte ich mir ihren Rock an, als sie vorbeikam. Von dem Riss, der sich im Stoff gebildet hatte, als sie auf das Briefmarkenbett gestiegen war, sah man nichts. Ihr Haar war grau und zu dünn für einen ordentlichen Dutt.
    Es war eine harte Woche für mich. Zu Hause hatte ich ein Bush-Transistorradio und hörte Éamon de Valera.
Wir können die Männer von 1916 nicht hinreichend ehren, wenn wir nicht danach streben, das Irland ihrer Wünsche zu verwirklichen.
Da war gerade mal der erste Tag zu Ende, sechs musste ich noch durchstehen. Aber ich machte das Radio nicht aus, ich hatte sogar eine Ersatzbatterie gekauft. Vorsichtshalber.
    Ich erkannte Stimmen und Gesichter. Seán Lemass, der Taoiseach – »der Boss«. In der Hauptpost war er noch ein Kind gewesen, nur wenige Jahre älter als ich, aber im Gegensatz zu mir hatte er auch ausgesehen wie ein Kind. Jetzt konnte ich ihn eine Woche lang hinter den Rauchschwaden seiner Pfeife bewundern. Auch de Valera war da, überall, blind und uralt und ganz und gar nicht mehr jener Besessene, neben dem ich 1916 in den Richmond Barracks gestanden hatte, als Hanratty, der Fotograf, die Aufnahme machte, die so berühmt werden sollte: Vater des kommenden Staates, ungebrochen und kerzengerade, gute dreißig Zentimeter größer als seine englischen Bewacher. Ich hatte direkt neben ihm gestanden und für Hanratty gelächelt, aber diese unterbelichteten Armleuchter hatten nur meinen Ellbogen mit aufs Bild genommen. Ich sah sie die ganze Woche lang, sie und ein paar andere, die überlebt hatten. Sie hatten den

Weitere Kostenlose Bücher