Die Rueckkehr des Henry Smart
Männer und Frauen getropft war.
– Unglaublich, sagte sie.
– Damals haben wir das nicht so gesehen, es war einfach so, sagte ich.
– Aber trotzdem ...
– Stimmt, es war unglaublich, aber da waren wir wohl alle schon etwas durch den Wind.
– Wegen der Bombardierung?
– Und allem anderen, ja.
– So wie jetzt.
– Bin ich jetzt verrückt?
Darauf kriegte ich keine Antwort.
– Damals hatten Sie noch Ihr Bein, nicht? fragte sie. – Nach der Hauptpost und alldem.
– Ja, aber das ist eine andere Geschichte. Und auch lange her.
– Ich hab’s doch gewusst. Es hieß, Sie hätten das Bein durch die Bomben verloren. Vor einer Woche.
Vor einer Woche? Um mich herum stöhnten Männer, als wäre das alles erst eine Stunde her. Ich konnte mich an die sieben Tage seither nicht erinnern, nur an einen. Aber das war ja nichts Neues, ich war vorher schon wochenlang tot gewesen. Wenn nicht viel länger.
– Wer sagt das? fragte ich.
– Alle. Aber ich hab’s Ihnen angesehen. Ihr Bein ist nicht vor sechs Tagen amputiert worden.
– Nein, sagte ich. – Das ist schon eine Weile weg.
Ich sah ihr ins Gesicht. Da war kein Triumph mehr. Eher eine Spur Ärger.
– Das ist jetzt dumm, sagte sie.
– Was denn?
– Ich sollte mit einem alten IRA-Mann sprechen, der letzte Woche sein Bein verloren hat. Nach allem, was er vorher schon durchgemacht hat ... was Sie durchgemacht haben.
– Tut mir leid, sagte ich. – Das Bein hab ich in Amerika verloren.
– Aber trotzdem ... Ganz schön happig, noch mal in die Luft gesprengt zu werden. In Ihrem Alter.
Ich schlief – ich muss geschlafen haben.
Sie war weg. Es war dunkel. In der Dunkelheit hatte das Stöhnen nachgelassen. Sechs Tage hatte ich im Bett gelegen, hatte sie gesagt. Und wie lange hatte ich jetzt geschlafen? Sie hatte wohl aufgesehen und gemerkt, dass mein Kopf nach hinten gefallen war. Sogar zu Hause fand ich das furchtbar – einzuschlafen, ehe ich dazu bereit war. Wie sterben. Ob sie lange gewartet hatte? Ich fasste an mein Kinn, weil ich wissen wollte, ob ich gesabbert hatte.
Irgendetwas war anders.
Das begriff ich, als ich meinen Arm hob. Auf dem Bett war mir etwas entgegengerollt.
Ich schob meine Hand unter das Betttuch, ganz langsam, die Sache war mir nicht geheuer, aber es dauerte nicht lange, bis ich Holz spürte, glattes kaltes Metall und Leder.
Ein Bein. Ich wusste, noch ehe ich es sah, dass es neu war.
Ich wachte auf.
Der Priester saß neben mir. Sie hatten ihm einen Stuhl mit Armlehnen gegeben. Er hatte eine Tasse auf dem Schoß, und auf der Untertasse lag ein halber Keks.
– Eins steht mal fest, sagte er.
– Hallo, Father.
– Die Männer deiner Generation sind aus härterem Holz geschnitzt.
Ich machte die Augen zu. Als ich sie wieder aufmachte, war er weg. Und der Stuhl auch.
An einem anderen Tag kam er wieder. Ich konnte jetzt sitzen, war auf dem Weg der Besserung, hatte Schmerzen an Stellen, wo mir nie was weh getan hatte. Diesmal kriegte ich mit, wie die junge Nonne den Stuhl brachte und so zurechtrückte, dass er sich bequem zurücklehnen konnte, ohne sich den Arsch zu verrenken. Er bedankte sich nicht, er sah sie nicht mal an.
– Sie sind ein tapferer Mann, sagte er.
– Ich bin doch bloß diese Scheißstraße langgegangen, Father.
Er sah mich scharf an, ohne sich zu bewegen, aber er packte mich zurück in die Schublade, in die ich gehörte. Und ich ließ mich reinpacken, er war mein Boss.
– Sie sind ein Stoiker, Henry.
– Danke, Father.
– Sie wissen, was ein Stoiker ist?
– Ja, doch.
Ich wollte nach Hause.
– Und es ist nett, dass Sie mich so nennen, sagte ich.
– Sie haben Zeitung gelesen?
– Nein.
– Nein?
– Ich habe viel geschlafen.
– Damit Sie wieder zu Kräften kommen.
– Ganz genau, Father.
– Recht so, sagte er. – Nach einem Ihrer Nickerchen haben Sie mit einem kleinen Mädchen gesprochen.
– So klein war sie nicht, Father.
– Sie hat einen großartigen Artikel über Sie geschrieben. Alle Ihre Heldentaten kommen drin vor.
Ich musste genau hinhören. Plötzlich wusste ich, dass ich bis zur Halskrause mit Beruhigungsmitteln vollgestopft war – immer noch. Ich hatte widerspruchslos alle Pillen geschluckt, die sie mir gegeben hatten.
– Draußen sind Leute, die es gar nicht erwarten können, Sie kennenzulernen, sagte er.
Ich wollte dösen, wollte mich damit nicht auseinandersetzen. Was erzählte er da?
– Freunde, sagte er.
– Alte Freunde? fragte ich.
– Neue
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