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Die Rueckkehr des Henry Smart

Die Rueckkehr des Henry Smart

Titel: Die Rueckkehr des Henry Smart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roddy Doyle
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Ich spürte, wie er am Schultor nach links einbog. Die Knie und die Last waren von meinem Rücken verschwunden. Eine Hand nahm eine meiner Hände und führte sie zu einer Klinke oder einem Griff. Ich hielt mich fest, während der Van um die Ecken schleuderte – ich kam mit dem Zählen nicht mehr nach, hatte gar nicht erst angefangen – und dann auf eine gerade Strecke einbog.
    Meine Hände waren nicht gefesselt, ich war kein richtiger Gefangener.
    – Ich hab mich übergeben, sagte ich.
    Keine Antwort.
    Ich wusste nicht, wo wir waren, jedenfalls nicht mehr in meiner Gegend. Wir fuhren nicht nach Osten, denn da war das Meer, und nicht nach Süden, stadteinwärts, denn der Fahrer hatte Gas gegeben und es eine ganze Weile nicht weggenommen. Sie brachten mich aus der Stadt nach Westen – oder nach Norden, in das Restland.
    Hinten im Wagen saß nur noch ein Mann. McCauley war nicht mitgekommen, das hatte ich gemerkt und fand mich gut, weil ich es gemerkt hatte: Vor der Schule waren die vorderen Türen des Vans nicht aufgegangen, McCauley war nicht eingestiegen. Im Wagen waren ich und der Mann, der mir die Kapuze übergezogen hatte, und der Fahrer – und vielleicht noch einer neben ihm.
    Nach meiner Schätzung waren wir zehn Minuten gefahren. Aber ich hatte den ganzen Sommer über, seit der Bombe, mein Zeitgefühl verloren, war in der Dunkelheit herumgeirrt, war aufgewacht, ohne dass ich geschlafen hätte. Vielleicht war ich ja schon seit Stunden in dem Van. Aber der Gestank unter dem Kissen war gleichbleibend fürchterlich, er wurde weder schlimmer noch besser.
    – Ich muss kotzen, sagte ich.
    – Dauert jetzt nicht mehr lange.
    Es war ein Dubliner Zungenschlag, und es war kein Todesurteil. Sie hatten mich entführt, aber sie kümmerten sich.
    – Wie lange?
    – Nicht allzu lange. ’Ne lütte Weile, dann kannst du dich abputzen.
    Es war ein Dubliner Zungenschlag, aber er kam von einem Mann, der eine Zeitlang in einer Gesellschaft verbracht hatte, wo sie
lütt
sagten. Wir nahmen Kurs nach Norden, in Richtung der sechs Grafschaften. So bald würden wir nicht anhalten. Oder nur, um die Wagen zu wechseln. Wenn ich in den letzten vier Jahren – selten genug – Nachrichten gehört hatte, war immer wieder von verlassenen Autos die Rede gewesen.
    Der Wagen bog von der Hauptstraße ab, wurde aber nicht langsamer, und ich musste mich festhalten, wenn er mit den Biegungen und Schlaglöchern der schmaleren Wege kämpfte. Ich tippte auf Nord-Dublin – Man o’War, the Naul –, wilde Orte, die ich vor über fünfzig Jahren kennengelernt hatte.
    Das Erbrochene trocknete allmählich an, klebte meinen Kopf an den Kissenbezug und versiegelte den Baumwollstoff.
    – Ich krieg keine Luft mehr.
    – In ’ner Minute ist Wechsel.
    – Wechsel?
    – Wir tauschen die Wagen.
    Ich hatte recht gehabt, wir verließen die Republik. Ich ließ die Klinke los oder das, woran ich mich festgehalten hatte.
    – Ich nehm jetzt das Ding da ab.
    – Keine gute Idee, sagte die Stimme.
    Das war deutlich, aber es war keine Drohung. Ich zerrte an der Kapuze.
    Der Van rollte noch, als ich wieder zu mir kam. Mein Kopf lag auf dem Boden, schlug mit jedem Sprung des Wagens dort auf und hämmerte den Schmerz immer tiefer hinein. Sie hatten mir eins übergebraten. Meine Hände waren immer noch frei.
    Hatten sie mir wirklich eins übergebraten?
    Ich schaffte es, mich aufzusetzen. Mein ganzer Körper war ein einziger Schmerz. War es überhaupt noch derselbe Wagen?
    – Das wäre nicht nötig gewesen.
    Sie hatten mir eins übergebraten – jetzt war es amtlich. Die meisten schmerzenden Stellen waren neu – und keine Einbildung.
    Aber der Vorgang selbst war ein alter Hut. Ich hatte Männer in die Berge geschleppt, hatte ihnen mit dem Gewehrkolben eins übergezogen und gesagt, sie sollten sich nicht wehren, es sei nicht nötig. Dann hatte ich ihnen die Knarre an den Hinterkopf gehalten und hatte sie erschossen.
    Dieselbe Hand legte meine Hand wieder an den Griff.
    – Danke.
    – Keine Ursache.
    – Wohin fahren wir?
    Du musst sie zum Reden bringen.
    Keine Antwort.
    – Wer will mich kennenlernen?
    Keine Antwort. Zurück zu den leichteren Fragen.
    – Wohin fahren wir?
    – Kann ich dir nicht sagen.
    – Wie lange?
    – Nicht mehr lange. Wir sind gleich da.
    – Wo?
    Keine Antwort. Dann die Stimme.
    – Mach dir keine Sorgen.
    Wir wurden langsamer, auf der linken Seite waren die Räder nicht mehr auf der Straße, sondern in einer Vertiefung, vielleicht einem

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