Die Rückkehr des Sherlock Holmes
gestern nacht um elf Uhr aufgrund eines Hinweises von mir in Chesterfield verhaftet. Ich habe heute morgen, ehe ich die Schule verließ, vom Vorsteher der örtlichen Polizei ein entsprechendes Telegramm erhalten.«
Der Herzog lehnte sich in seinem Stuhl zurück und starrte meinen Freund verblüfft an.
»Sie scheinen über Kräfte zu verfügen, die man kaum menschlich nennen kann«, sagte er. »Reuben Hayes ist also verhaftet? Das freut mich recht sehr zu hören, falls es sich nicht auf James’ Schicksal auswirkt.«
»Auf das Ihres Sekretärs?«
»Nein, Sir; meines Sohnes.«
Nun war Holmes an der Reihe, verblüfft dreinzuschauen.
»Ich muß gestehen, daß mir dies vollkommen neu ist, Euer Gnaden; ich darf Sie bitten, sich ausführlicher zu äußern.«
»Ich werde Ihnen nichts verheimlichen. Ich stimme mit Ihnen überein, daß vollkommene Offenheit, so schmerzlich sie mir auch sein mag, die beste Vorgehensweise in dieser verzweifelten Lage ist, in die uns James’ Torheit und Eifersucht gebracht haben. Als junger Mann, Mr. Holmes, war ich so verliebt, wie es einem im Leben nur einmal passiert. Ich bot der Dame die Ehe an, doch sie weigerte sich mit der Begründung, eine solche Verbindung könnte meine Karriere ruinieren. Zu ihren Lebzeiten hätte ich sicherlich nie eine andere geheiratet. Doch sie starb und hinterließ dieses eine Kind, um das ich mich ihretwegen gesorgt und gekümmert habe. Ich konnte die Vaterschaft vor der Welt nicht anerkennen; aber ich gab ihm die allerbeste Erziehung, und seit er ins Mannesalter eintrat, habe ich ihn immer um mich behalten. Seitdem er mein Geheimnis herausbekommen hat, hat er die Forderung, die er gegen mich hat, und seine Macht, einen mir widerwärtigen Skandal zu provozieren, ständig mißbraucht. Sein Hiersein hatte etwas mit dem unglücklichen Ausgang meiner Ehe zu tun. Vor allem haßte er meinen jungen rechtmäßigen Erben von Anfang an mit äußerster Beharrlichkeit. Sie dürfen durchaus fragen, warum ich James unter diesen Umständen in meinem Haus behalten habe. Ich antworte, der Grund dafür bestand darin, daß ich in seinem Gesicht das seiner Mutter sehen konnte und daß mein langes Leiden um ihres lieben Andenkens willen kein Ende nahm. Auch alle ihre reizenden Eigenarten – es gab nicht eine, die er mir nicht ins Gedächtnis rufen konnte. Ich
konnte,
ihn nicht wegschicken. Doch ich fürchtete so sehr, daß er Arthur – also Lord Saltire – etwas Böses antun könnte, daß ich Arthur zur Sicherheit in Dr. Huxtables Schule unterbrachte.
Mit diesem Schurken Hayes konnte James in Kontakt kommen, weil jener ein Pächter von mir war und James als mein Vermittler auftrat. Der Bursche war von Anfang an ein Schurke; aber auf irgendeine merkwürdige Weise freundete James sich mit ihm an. Er hatte schon immer einen Hang zu niedriger Gesellschaft. Als James den Entschluß faßte, Lord Saltire zu entführen, nahm er dafür die Dienste dieses Mannes in Anspruch. Sie erinnern sich, daß ich Arthur an diesem letzten Tag geschrieben habe. Nun, James erbrach den Brief und legte noch ein paar Zeilen bei, in denen er Arthur bat, sich mit ihm in einem Wäldchen namens
Ragged Shaw
zu treffen, das dicht bei der Schule liegt. Er unterschrieb im Namen der Herzogin und erreichte auf diese Weise, daß der Junge kam. An jenem Abend fuhr James mit dem Rad hinüber – ich berichte Ihnen, was er selbst mir gestanden hat – und erzählte Arthur, den er in dem Wald antraf, daß seine Mutter ihn zu sehen wünsche, daß sie ihn im Moor erwarte, und daß er, wenn er um Mitternacht wieder in das Wäldchen käme, dort einen Mann mit einem Pferd treffen würde, der ihn zu ihr bringen würde. Der arme Arthur ging in die Falle. Er hielt die Verabredung und traf auf diesen Hayes, der ein Pony dabeihatte. Arthur stieg auf, und sie ritten zusammen los. Anscheinend wurden sie – obwohl James dies erst gestern erfahren hat – verfolgt, Hayes streckte den Verfolger mit seinem Stock nieder, und der Mann starb an seinen Verletzungen. Hayes brachte Arthur in seinen Gasthof, den ›Kampfhahn‹, wo er in einem oben gelegenen Zimmer eingesperrt und von Mrs. Hayes, einer freundlichen Frau, die aber vollkommen in der Gewalt ihres brutalen Mannes steht, versorgt wurde.
Nun, Mr. Holmes, so standen die Dinge, als ich Sie vor zwei Tagen zum erstenmal sah. Ich hatte von der Wahrheit ebenso wenig eine Vorstellung wie Sie. Sie werden mich fragen, aus welchem Motiv James eine derartige Tat begehen konnte. Ich
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