Die Rückkehr des Tanzlehrers
besonders aufmerksam und versuchte, sich seine eigene vorzustellen. Nach dem Essen trank er Kaffee und starrte hinaus in die Dunkelheit.
Dann ging er in die Rezeption und war unentschlossen, ob er einen Spaziergang machen oder wieder auf sein Zimmer gehen sollte. Er entschied sich für letzteres. Oben angekommen, setzte er sich aufs Bett und rief Elena an. Sie nahm sofort ab. Stefan hatte das Gefühl, daß sie dagesessen und darauf gewartet hatte, daß er sich meldete.
»Wo bist du?«
»In Sveg.«
»Und wie ist es?« fragte sie vorsichtig.
»Einsam und kalt.«
»Ich verstehe nicht, weshalb du dahin gefahren bist.«
»Ich auch nicht.«
»Dann komm nach Hause.«
»Wenn ich könnte, würde ich heute abend noch kommen. Aber es dauert ein paar Tage.«
»Kannst du nicht wenigstens sagen, daß du mich vermißt?«
»Du weißt doch, daß ich das tue.«
Er gab ihr die Nummer des Hotels, und sie beendeten das Gespräch. Keiner von ihnen telefonierte gern. Ihre Gespräche waren meist kurz. Trotzdem hatte Stefan das Gefühl, daß sie sich unmittelbar neben ihm befand.
Er war müde. Der Tag war lang gewesen. Er schnürte seine Schuhe auf und trat sie sich, auf dem Bett sitzend, von den Füßen. Dann legte er sich hin und blickte zur Decke. Ich muß mich entscheiden, was ich hier will, dachte er. Ich bin hergefahren, um zu verstehen, was passiert ist. Um zu verstehen, warum Herbert Molin ständig Angst hatte. Jetzt habe ich den Ort gesehen, an dem der Mord verübt worden ist. Und ich habe einen Zeltplatz gefunden, der ein Versteck gewesen sein kann. Er überlegte, wie es weitergehen sollte. Das vernünftigste wäre, nach Östersund hinaufzufahren und Giuseppe Lars-son zu treffen. Aber danach? Was würde er danach tun?
Wieder dachte er, daß die Reise sinnlos war. Er hätte statt dessen nach Mallorca fliegen sollen. Die Polizei in Jämtland würde ihre Arbeit schon tun. Eines Tages würde er erfahren, was passiert war. Irgendwo gab es einen Täter, der darauf wartete, gefaßt zu werden.
Er legte sich auf die Seite und betrachtete den schwarzen Bildschirm des Fernsehers. Von der Straße her hörte er ein paar Jugendliche lachen. Hatte er im Verlauf des Tages gelacht? Er suchte in seiner Erinnerung, ohne auch nur ein einziges Lächeln zu finden. Im Moment bin ich nicht der, der ich sonst bin, dachte er. Ein Mann, der viel lacht. Im Moment bin ich ein Mann mit einem Tumor an der Zunge, der Angst vor der Zukunft hat.
Dann schaute er auf seine Schuhe. Etwas saß unter einem von ihnen. Eingeklemmt in eine Ritze des Profils der Gummisohle. Ein Stein vom Schotterweg, dachte er. Er streckte sich nach dem Schuh, um den Stein herauszupulen.
Es war kein Stein, sondern ein Stück von einem Puzzleteil. Er setzte sich im Bett auf und drehte die Lampe zu sich. Das beschädigte Puzzleteil war weich und von der Erde verfärbt. Er war sich sicher, daß er im Innern des Hauses nicht auf ein Puzzleteil getreten war. Es konnte vor dem Haus gelegen haben. Dennoch sagte ihm seine Intuition etwas anderes. Das Puzzleteil hatte sich unter seiner Sohle festgesetzt, als er an der Stelle, an der das Zelt gestanden hatte, umhergegangen war.
Der Mann, der Herbert Molin ermordet hatte, hatte sich längere oder kürzere Zeit in einem Zelt am See aufgehalten.
Die Entdeckung des beschädigten Puzzleteils ließ seine Lebensgeister wieder erwachen. Er setzte sich an den Tisch. Auf einem Block begann er, sich Notizen über die Ereignisse des Tages zu machen. Sie nahmen die Form eines Briefes an. Zunächst wußte er nicht, an wen er den Brief richtete. Dann wurde ihm klar, daß er an die Ärztin schrieb, die ihn am Morgen des 19. November in Boras erwartete. Warum er ihr diesen Brief schrieb, konnte er nicht sagen. Weil er sonst niemanden hatte? Oder weil Elena nicht begreifen würde, wovon er redete? Ganz oben auf das Blatt schrieb er Herbert Molins Angst und unterstrich die Worte kräftig. Dann notierte er Punkt für Punkt die Beobachtungen, die er im Haus, um das Haus herum und auf dem Platz, an dem das Zelt gestanden hatte, gemacht hatte. Als er fertig war, versuchte er, Schlußfolgerungen zu ziehen. Aber nichts schien ihm sicher zu sein, außer daß der Mord an Molin gut geplant worden war.
Es war zehn Uhr. Er zögerte, entschied sich aber doch dafür, Giuseppe zu Hause anzurufen und zu sagen, daß er am nächsten Tag nach Östersund kommen würde. Er suchte die Nummer im Telefonbuch. Es gab viele, die Larsson hießen. Aber nur einen, der Giuseppe
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