Die Rückkehr des Zweiflers - Covenant 08
retten. Wenn sie richtig verstand, was sie einmal selbst erlebt und was Covenant ihr in Bezug auf seine eigenen Besuche in dem Land erzählt hatte ...
Linden hörte, wie Jeremiah die Schlafanzugjacke aufhob und in ihre Ärmel schlüpfte; dann hörte sie ihn zornig davonstapfen. Aber sie wagte nicht, die Hände vom Gesicht zu nehmen, um zu beobachten, wie er sie verließ. Verstand sie das Gesetz richtig, das auch Transfers in das Land regelte, konnte Jeremiah nicht umgebracht werden, solange er in seiner angestammten Realität am Leben blieb. Lord Foul konnte ihn vielleicht foltern, bis er den Verstand verlor, aber nicht umbringen. Stattdessen würde Jeremiah nur in der Gewalt des Verächters bleiben, bis das Wesen, das ihn gerufen hatte, eines Tages starb. Dann würde er in sein früheres Leben zurückkehren. Und sein Körper würde keine Folterspuren aufweisen. Nur sein heil gebliebener oder in Fetzen gerissener Verstand würde die Folgen seines Aufenthalts in dem Land tragen müssen.
Mein Sohn ... Kaum wahrgenommene Tränen froren an Lindens Fingern, auf ihren Wangen an. Covenant hatte ihr tatsächlich Hoffnung gemacht. Aber er hatte sie auch irregeführt. Noch schlimmer: Er hatte sie belogen.
Siegte er über den Verächter, würde das Wesen, das Jeremiah hergerufen hatte, sterben. Linden kannte Joan zu gut, um etwas anderes zu glauben. Joan war zu schwach, zu zerbrechlich, um sich selbst erhalten zu können. Wilde Magie und ihre eigene Agonie waren zu zerstörerisch, um lange ertragen werden zu können. Ohne äußerlichen Ansporn und Fürsorge durch Lord Fouls Diener würde sie bald zugrunde gehen.
Damit würden Jeremiahs Qualen aufhören. Er würde aus dem Land verschwinden. Linden dagegen würde bleiben, weil sie bereits tot war. Selbst Roger würde vermutlich bleiben und solche Verwüstungen anzurichten suchen, dass die Knochen der Berge zitterten, wenn sie daran dachten. Aber Jeremiah ...
Kehrte er geistig verkrüppelt in seine angestammte Welt zurück, würde sie nicht da sein, um ihn zu betreuen. Er würde auf ewig für sie verloren sein.
Das war die Lüge. Covenant hatte behauptet, Jeremiah werde trotzdem noch dort gefangen sein, wo Foul ihn eingesperrt hat. Das stimmte nicht, das war gelogen! Er wird noch immer gerettet werden müssen. Aber Covenant wusste doch bestimmt, dass Joans Tod den Jungen freisetzen würde?
Trotzdem hatte Linden inzwischen einen Grund zu neuer Hoffnung. Der Sieg über den Verächter würde ihrem Sohn das Leben retten.
Und sie hatte noch einen weiteren, einen völlig anderen Grund: das Erdblut. Linden, dann steht dir alles zu Gebote. Du brauchst es nur zu wollen, dann bist du wieder mit deinem Sohn vereinigt. Zu jedem beliebigen Zeitpunkt. An jedem beliebigen Ort. Sie konnte Jeremiahs Rückkehr ins Land ihres Todes blockieren; sie konnte ihn im Land behalten. Dann würde sie nicht um seinen Geisteszustand fürchten müssen. Hier konnte er wirklich wiederhergestellt, geheilt werden.
Aber sie würde ihn trotzdem verlieren. Macht dich das glücklich, könnt ihr beide bis ans Ende eurer Tage in Andelain leben ... In diesem Punkt hatte Covenant nicht die Wahrheit gesagt. Wie Jeremiahs Anhänglichkeit an Covenant verkündete seine heftige, fast gewalttätige Reaktion von vorhin die Wahrheit: Ermöglichte sie ihm, im Land zu bleiben, würde er sich nicht dafür entscheiden, mit ihr zu leben. Er liebte sie nicht. Er hatte sie nie geliebt. In all den Jahren, in denen sie ihn mit Liebesbeweisen überhäuft hatte, war er die meiste Zeit aus seinem Körper abwesend gewesen. Entfremdet und teilnahmslos hatte er Covenants Freundschaft viel stärker wahrgenommen als alles, was Linden getan oder empfunden hatte. Aus seiner entstellten Perspektive hatte er keinen Grund, sie zu lieben ...
Eine unsichere Zukunft in seiner angestammten Welt oder ein ganzheitliches Leben in dem Land. Die Macht des Gebots würde sie in den Stand setzen, ihrem Sohn beides zu ermöglichen. Aber die Wahl lag nicht bei ihr; darüber musste Jeremiah selbst entscheiden. In beiden Fällen war er für sie verloren, aber ihre Trauer war nebensächlich. Sie hatte ihn bereits verloren. Und er war nicht für ihre Hingabe verantwortlich – oder für ihren Kummer.
Covenant dagegen war ein ganz anderer Fall. Er hatte sie belogen. Er hatte bewusst versucht, die wahre Krux von Jeremiahs Notlage – und ihrer eigenen – vor ihr zu verbergen. Linden musste mit ihm sprechen. Sie musste sofort mit ihm sprechen. Doch als sie die
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