Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rückkehr des Zweiflers - Covenant 08

Die Rückkehr des Zweiflers - Covenant 08

Titel: Die Rückkehr des Zweiflers - Covenant 08 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
Vom Netzwerk:
Vor einer Kulisse aus zerklüfteter Großartigkeit aufragend war der Melenkurion Himmelswehr dem Osten und der Würgerkluft zugewandt, als habe das Urgestein des Landes sich zumindest hier erhoben – wenn nicht auch anderswo –, um über die dunklen Bäume zu wachen.
    Irgendwie schien der Berg gegen Zweifel oder Tadel immun, über die Zeit erhaben zu sein. Die dünne, scharfe Luft hatte kein Aroma, und der Sonnenstand reichte noch nicht aus, um seine Ostflanke ganz mit Schatten zu überziehen. Deshalb konnte Linden die genauen Umrisse des Plateaus sehen, das den gewaltigen Fels umgab. Es begann an der Nordflanke des Himmelswehrs, erstreckte sich unter den Steilwänden im Osten und verschwand hinter dem Massiv nach Süden. Aus ihrem Blickwinkel erinnerte das Plateau an einen breiten Altar: einen Sammelplatz zu Demut und Gebet. Der ganze Berg und seine Umgebung hätten ein Tempel sein können, der für die ernste Schönheit des Landes errichtet und ihr geweiht war. Und irgendwo tief im Inneren dieses Tempels lag die Erdblutquelle versteckt: der Ursprung der Macht des Gebots – die Macht, mit der Covenant Lord Fouls und Kasteness' Bösartigkeit zu beenden versprochen hatte. Jene Macht, die es ihr ermöglichen würde, ihren Sohn zu erlösen.
    Linden würde einsam und verloren in dieser Zeit zurückgelassen werden. Jeremiah würde endlich frei sein. Aber niemand würde Roger mehr daran hindern können, sich auf die Suche nach dem Ring seiner Mutter zu machen.
    Vor Kälte zitternd – in dieser Höhe glich die Kälte Glassplittern, die sich in ihre Haut bohrten – blickte Linden durch Wolken aus Atemdampf zum Melenkurion Himmelswehr hinüber und versuchte sich vorzustellen, wie sie zwischen den komplexen Verästelungen ihres Misstrauens und ihres Kummers navigieren sollte. Was ihr bevorstand, würde ihr bisheriges Leben beenden. Falls es andere Lösungsmöglichkeiten gab, konnte Linden sie nicht erkennen.
    Ihre Gefährten hatten es zu eilig, um lange zu rasten. »Wir müssen weiter«, murmelte Jeremiah Covenant zu. »Sie hat ihren Proviant bei dem Sturz verloren. Sie ist hungrig und durstig, und beides kann nur schlimmer werden. Wir sollten diese Sache rasch durchziehen.«
    Covenant nickte sofort und wandte sich mit gebieterischer Stimme an sie: »Linden, komm jetzt. Du musst dich noch einmal zusammenreißen. Wir haben bald Zeit, über alles zu sprechen.«
    Weder Jeremiah noch er spürten die Eiseskälte, und auch Lindens Schwächen nahmen sie nicht einmal wahr. Trotzdem glaubte sie aus dem Tonfall ihres Sohns echte Besorgnis herauszuhören und zögerte deshalb nicht. Schließlich hatte er recht. Covenants eigenartige Macht konnte sie wärmen, aber nicht vor Durst, Hunger und Müdigkeit bewahren. Sie zitterte bereits. Schon bald würden ihre überbeanspruchten Kräfte noch mehr schwinden. Und ihre Suche nach Erdblut konnte Stunden oder Tage dauern. Bereitwillig trat sie dieses Mal zwischen ihre Gefährten, damit Covenant und Jeremiah ihr nächstes unheimliches Portal errichten konnten.
    Als Linden taumelnd ihr Gleichgewicht wiederzufinden versuchte, stellte sie fest, dass ihr Sohn und ihr ehemaliger Geliebter sie mitten auf das Plateau des Melenkurion Himmelswehrs versetzt hatten. Sie befanden sich in der Mitte zwischen den steilen Felswänden des Massivs und dem gezackten Rand des Plateaus – mitten auf dem breiten Altar. Jeremiahs Sammelsurium aus dürren Ästen und Zweigen war polternd in der Nähe gelandet.
    Auf der Suche nach Stabilität sank Linden auf die Knie, legte dann den Stab neben sich ab und stützte ihre Hände auf den nackten Fels. Hier oben war der Granit frei von Schnee und Eis; das gesamte Plateau wirkte wie leer gefegt. Richtete sie ihren Gesundheitssinn in die Tiefen des Berges, würde er hoffentlich etwas von seinem Wissen, seiner Dauerhaftigkeit auf sie übertragen. Vielleicht würde sie unter den fundamentalen Wahrheiten des Melenkurion Himmelswehrs sogar eine Art Mut finden. Doch im ersten Augenblick spürte sie nur Kälte an ihren Handflächen und Fingern, an den Knien ihrer schmutzigen Jeans: Kälte, die fast wie der Stein mit Händen zu greifen und genauso unnachgiebig war. Aber dann wurde ihre Wahrnehmung detaillierter, und Linden merkte, dass die Kälte, der konkretisierte Frost, weit weniger streng als erwartet war. Irgendwo tief unter ihr, außer Reichweite ihrer Sinne, lag eine Wärmequelle: Erdblut. Erdkraft in ihrer reinsten, nahezu allumfassenden Erscheinungsform. Ihre gefühlte

Weitere Kostenlose Bücher