Die Rückkehr des Zweiflers - Covenant 08
mühsame Beherrschung von ihm ab. »Rache.« Dann sprach er mit emotionsloser Stimme weiter. »Aus ihrer Sicht gibt es keinen Unterschied zwischen Empfindung und Feuer und Äxten. Alles, was mobil ist und Verstand hat, kann sie töten. Die Gräuelinger sind genau wie wir. Wir sind bereits Wildholz' Feinde. Erklärtermaßen.« Jetzt sah er sie direkt an: »Vertrau mir. Gefahr, dass er sich mit den Gräuelingern verbünden würde, hat niemals bestanden.«
Niemals Gefahr, dass die Logik der Vergangenheit zerstört werden könnte ...
»Er hat recht, Mama«, warf Jeremiah ein. Seine Augen waren verblasst, nur mehr sandfarben. »Wir könnten Wildholz nicht mit den Gräuelingern zusammenspannen, selbst wenn wir wollten. Aber das wollen wir natürlich nicht. Wir wollen nur zum Melenkurion Himmelswehr. Damit Covenant das Land retten kann – und du mich.«
Linden konnte nicht widersprechen, aber sie war keineswegs beschwichtigt. Sie fühlte sich ausgenutzt ... zwischen Baum und Borke. Covenant und Jeremiah hatten sie bewusst den Gräuelingern ausgeliefert – und wofür? Damit sie Covenants Ring herausrücken würde? Und als sie ihn ignoriert hatte, um mit den Gräuelingern zu diskutieren, hatten Jeremiah und er einen Konflikt zwischen Wildholz und ihnen heraufbeschworen. Was hätte Covenant getan, wenn Linden gehorcht hätte? Hätte er sie den Ratschlüssen der Schöpfer der Dämondim überlassen? Und sein Plan für die Erlösung des Landes traf keine Vorkehrungen für den Ehering seiner Exfrau – oder ihren gefährlichen Sohn.
»Was ist mit der Schlacht?«, fragte sie voller Zorn und Elend. »Wirkt die sich nicht auf die Geschichte aus?«
»Teufel, nein.« Covenant schnaubte, als reiße ihm allmählich der Geduldsfaden. »Sie bestätigt nur, was ohnehin passieren sollte. Jetzt ist Wildholz den Gräuelingern verhasst. Die Würgerkluft ist ihnen verhasst. Sie sind bereit, auf die Wüteriche zu hören. Und außer den Beteiligten weiß niemand, dass sie jemals miteinander gekämpft haben. Wir haben nichts verändert.« Er verstand es, diese Feststellung anklagend klingen zu lassen.
Einen Augenblick später bereiteten Jeremiah und er den nächsten Bogen vor, damit sie weiterspringen konnten. Als Linden zwischen sie trat, hätte sie am liebsten geweint. Aber sie hielt ihre Tränen und ihre Trauer zurück. Beide nützten ihr jetzt nichts mehr.
11
Melenkurion Himmelswehr
Krank vor Desorientierung und Zweifeln erreichte Linden Avery mit ihren Gefährten das weite Hochplateau am Melenkurion Himmelswehr hoch über der Würgerkluft am frühen Nachmittag des gleichen Tages.
Nachdem sie nun vor den Gräuelingern sicher waren, wagten Covenant und Jeremiah immer weitere Sprünge, bei denen sie ihren Holzvorrat mitführten. Statt den Wald zu überqueren, folgten sie den Ausläufern der Letzten Hügel, bis sie den Pulverschnee und das Eis des Westlandgebirges am Nordwestrand der Kluft erreichten. Dort wandten sie sich zwischen den Felszacken nach Süden und legten die restliche Strecke in augenblicklichen Sprüngen von zwanzig bis dreißig Meilen zurück. Die dazwischen liegenden Grate und Hügelkämme blockierten Lindens ersten Blick auf den Melenkurion Himmelswehr, bis Covenant und Jeremiah rasteten, ehe sie ihr letztes Portal öffneten. Während die beiden sich von ihren Anstrengungen erholten, studierte sie den mächtigen Gipfel und sah, wie er wirklich war, und sein Anblick verschlug ihr den Atem: In der Sonne leuchtend beherrschte er den Süden, schien er das ganze Gebirge zu beherrschen. Obwohl die benachbarten Gipfel und Felstürme – bedeckt mit ewigem Schnee und Eis und kahlem Granit – selbst gigantisch waren, glichen sie Kindern neben dem hoch aufragenden Haupt des Himmelswehrs, das Stirn und Kinn trotzig dem Himmel entgegenzurecken schien. Da seine fast senkrechte Flanke dem Osten zugewandt war, machte er den Eindruck, mitten im Schritt nach Landbruch und dem Meer der Sonnengeburt zu Eis erstarrt zu sein, und schien alle übrigen Berge wie Jünger oder Gefolgsleute hinter sich herzuziehen.
Aber während seine Ostflanke fünf- bis sechstausend Meter steil abfiel, stiegen die anderen Seiten sanfter an. Im Norden und Westen gingen sie in Satteln und Mulden oder unregelmäßig geformten Moränen in niedrigere Berge über. Auf diesen Flanken hatte sich in Jahrtausenden Eis wie Gletscherfragmente abgelagert: Splitter und Streifen, die so alt und tief waren, dass sie in der Sonne blauer waren als der Winterhimmel.
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