Die Rückkehr des Zweiflers - Covenant 08
den sie sich erinnerte, hätte nicht im Traum daran gedacht, sie allein in den Tiefen des Melenkurion Himmelswehrs zurückzulassen.
Aber dieser Covenant schien in seinem Herzen keinen Platz für sie zu haben. Er hob den Kopf und ließ sie die in seinen Augen aufglimmende Glut sehen, als er nur sagte: »Gut.«
Mit diesem einen Wort besiegelte er ihren Entschluss.
Nehmt euch vor der Halbhand in Acht.
*
Als sie in die Mitte des Plateaus zurückkehrten, sah Linden, dass ihr Sohn etwas baute, das an einen primitiven Käfig erinnerte. Um eine Grundfläche herum, auf der drei Personen stehen konnten, ohne einander zu berühren, hatte er knorrige Äste aufgestellt, die Wände bildeten. Manche waren so massiv, dass er sie bestimmt nur mit Mühe hatte heben können; andere Zweige wirkten zu zart und zerbrechlich für das auf ihnen lastende Gewicht, höchst wackelig aufgestapelt, fast zufällig aufgetürmt. Trotzdem arbeitete er stetig, ohne zu pausieren oder zu zögern. Von einem Instinkt gelenkt, der ihr Begriffsvermögen überstieg, benutzte er die erbeuteten Äste und Zweige wie Legosteine oder Teile eines Metallbaukastens, und alle seine Bewegungen wirkten sicher. Selbst seine verstümmelte Hand war nie ungeschickt.
Gespielt lässig fragte Covenant: »Wie kommst du voran, Jeremiah?«, aber der Junge gab keine Antwort. Seine Konzentration war so absolut, wie sie einst in ihrem Wohnzimmer gewesen war. Seine Augen hatten wieder die Linden vertraute schlammige Farbe angenommen – die Farbe, die sie lieben gelernt hatte –, und er schien völlig in seiner Aufgabe aufzugehen. Die Wände seiner Holzkonstruktion reichten Linden schon bis zur Brust. Auf ihrem Rundgang bei dem vergeblichen Versuch, aus dem Bau schlau zu werden, stellte sie fest, dass er zum Melenkurion Himmelswehr hin eine Öffnung freigelassen hatte. Sobald wir hineinsteigen ... Sie fragte sich einen Augenblick lang, ob die Öffnung für sie zu klein sein würde. Aber er wusste genau, was er tat. Schlängelte sie sich seitlich hinein und handhabte den Stab dabei vorsichtig ...
Ohne sich erkennbar anzustrengen, hob Jeremiah einen Ast hoch, den Linden nicht allein hätte bewältigen können, und stellte ihn umgekehrt auf Zweige, die sein Gewicht eigentlich nicht hätten tragen können. Trotzdem brach das Gebilde nicht zusammen; es geriet kaum ins Wanken. Danach schien es sichtbar stabiler zu werden. Als er sich nun daranmachte, seinen Bau zu überdachen, spürte Linden schwache Kraftfelder, die von dem Gebilde ausgingen. Und sie wurden mit jedem hinzugefügten Ast oder Zweig stärker. Irgendwie entlockten die Formen und Positionen und Überlagerungen seiner Materialien dem dürren Holz eine Art Theurgie.
Seine Magie roch oder schmeckte nicht vertraut. Ganz sicher war sie keiner Manifestation der essenziellen Vitalität der Erde ähnlich, die Linden bisher kennengelernt hatte. Sie erinnerte jedoch auch nicht an die Düsternis der Gräuelinger oder das bösartige Vitriol der Dämondim. Auch imitierte sie weder die unbegrenzten flüssigen Möglichkeiten der Elohim, Esmers spannungsgeladene Kraft noch den gefährlichen Tatendrang wilder Magie. Trotzdem konnte sie in den Energien seines Gebildes nichts Unrechtes, keinen Verstoß gegen das Gesetz entdecken. Er hatte eine Form von Macht, die allein ihm gehörte, in das Land eingeführt.
Als Jeremiah damit fertig war, die dürren Äste, die das Dach bildeten, abzustützen und zu verflechten, schien das ganze Gebilde vor noch gezügelter Bereitschaft zu summen und wirkte zugleich so solide und unbezwingbar wie sein felsiger Boden. Und auf einer Ebene, die zu intuitiv für Worte war, schien es Linden zu rufen. Obwohl das Holz abgestorben war, besaß es einen fast greifbaren Willen, gebraucht zu werden – oder hatte ihn von Jeremiah eingeflößt bekommen. Trotz ihres unbehaglichen Staunens und ihrer vielen Ängste spürte Linden den Wunsch, das Portal sofort zu betreten. Aber dies war Jeremiahs Magie, nicht ihre eigene. Sie benötigte seine Anweisungen oder Erlaubnis; das war sie ihm schuldig. Aus Respekt vor seinem Talent, seiner Leistung wartete sie, bis er von dem Gebilde zurücktrat und sich umsah – erst zu Covenant, dann zu ihr hinüber.
»Gut«, urteilte Covenant sichtbar zufrieden. »Das müsste hinkommen. Sieht so aus, als wären wir bereit.«
Lindens Reaktion war stärker. Als Jeremiah wie schlaftrunken blinzelnd ihren Blick erwiderte, gestattete sie sich einen Augenblick schlichter
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