Die Rückkehr des Zweiflers - Covenant 08
Caerroil Wildholz hatte bereits versprochen, sie am Leben zu lassen. Was sollte sie mit einem zweifelhaften Geschenk, für das sie sich nicht recht würde revanchieren können? Auch konnte Caerroil Wildholz sie sicherlich nicht in ihre eigene Zeit zurückversetzen. So viel Macht besaß kein Forsthüter.
Dennoch stellte sie die Flasche der Mahdoubt behutsam an einen Stein und blickte dann noch einmal forschend in die seltsam unterschiedlichen Augen der Alten: »Du hast mir geraten, ich solle in der Liebe vorsichtig sein.« Auf ihr liegt ein Glanz ... »Du hast gewusst, wer die beiden waren.« Roger und der Croyel. »Warum hast du mich nicht einfach gewarnt?« Hätte die Mahdoubt nur offen mit ihr gesprochen, dann ...
Die Miene der Alten ließ erstmals eine gewisse Beunruhigung, vielleicht sogar Bekümmertheit erkennen. »Es ist nicht erlaubt ...«, begann sie – und verstummte. Kurz schloss sie die Augen, und als sie sie wieder öffnete, betrachtete sie Linden mit kummervollem Blick: »Nein, die Mahdoubt will die Wahrheit sprechen. Das gestattet sie sich nicht von sich selbst, obgleich ihr altes Herz sich verkrampft, wenn sie bedenkt, was geschehen ist – und noch geschehen kann. Ihre Absicht ist freundlich, Lady. Dessen kannst du versichert sein. Aber sie besitzt weder genug Wissen noch Weisheit, um dem zu widersprechen, was notwendig zu sein scheint. Das tun andere – auf eigene Gefahr. Die Mahdoubt aber tut es nicht. Begehrt sie, in Taten wie in Absichten freundlich zu sein, hat sie gelernt, dass sie sich mancher Dinge enthalten muss. Trotzdem hat sie sich zu anderen Zeiten den Dank anderer Leute verdient – wenn auch nicht den der Lady.« Dann schloss sie sanft: »Der Große Mann ruft uns. Wir müssen folgen.«
Notwendig? Notwendig? Linden hätte sich am liebsten geweigert mitzukommen. Der Forsthüter und sogar die Mahdoubt gingen über ihren Horizont. Aber welche Wahl hatte sie letztlich? Seit ihrer Rückkehr in das Land war sie von anderer Leute Wünschen und Forderungen, anderer Leute Manipulationen geleitet worden und hatte nie etwas getan, was nicht gefährlich gewesen wäre. Sie konnte es sich nicht leisten, irgendeine Art von Hilfe zurückzuweisen. Fest umklammerte sie ihren Stab und zog sich mit seiner Hilfe mühsam empor. Die Fürsorge der Mahdoubt hatte ihr besser geholfen, als ihr bislang bewusst gewesen war. Nahrung, Frühlingswein und beruhigende Wärme hatten ihre Müdigkeit gemildert, auch wenn sie ihre Erschöpfung nicht lindern oder ihr gefrorenes Herz schmelzen konnten. Als die Mahdoubt nun zu den Bäumen hinüberwies, begleitete Linden sie in den Wald hinein – geleitet von der Majestät und Zurückhaltung von Caerroil Wildholz' Musik. Der Weg war nicht lang – oder erschien ihr im Bann des Gesangs des Forsthüters nicht weit. Linden und die Mahdoubt wanderten unter Bäumen durchs Dunkel, entlang an Platanen und Eichen, Birken und Gilden, Zedern und Tannen, deren klagende Gegenwart sie spüren konnten. Zuletzt fanden sie sich auf baumlosem Gelände wieder, das vor ihnen zu einer Art riesigem Grabhügel anstieg. Selbst durch ihre Stiefel spürte Linden den Tod im Erdreich. Jahrhunderte oder Jahrtausende lang war hier Blut im Boden versickert, bis er niemals mehr Leben tragen würde. Dies also war der Galgenbühl: die Stätte, an der Caerroil Wildholz die Mörder seiner Bäume hinrichtete.
Anfangs zuckte sie bei jedem Schritt vor Selbsterkenntnis zusammen. Bis sie unter dem Melenkurion Himmelswehr verraten worden war, hatte sie kein Verständnis für Menschen oder Wesen oder Mächte gehabt, die sich am Tod weideten, hatte vielmehr als Ärztin gegen ihn angekämpft. Linden kannte das Böse in sich selbst wie in ihren Feinden; sie war mit der Begierde vertraut, Unschuldigen Schmerzen zuzufügen. Aber dieser absolute und unversöhnliche Rachedurst, dieser gerechte Zorn ... Bis sie ihren Sohn leiden sah, hatte sie nicht gewusst, dass sie zu solchen Gefühlen imstande war. Jetzt aber stellte sie fest, dass sie den Geschmack von Vergeltung genoss. Er machte sie stärker. Sie wusste, was er bedeutete, und indem Caerroil Wildholz sie an diese durch unzählige Tode geheiligte Stätte gebracht hatte, hatte er ihr bereits ein Geschenk gemacht.
Im Sternenschein, getragen von der leuchtenden Musik des Forsthüters, sah sie auf dem Hügel zwei abgestorbene schwarze Bäume. Sie standen zehn oder mehr Schritte voneinander entfernt: aufrecht und stolz. Alle ihre Zweige waren entfernt worden – bis auf
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