Die Rückkehr des Zweiflers - Covenant 08
einen einzigen starken Ast in großer Höhe über dem Boden. Diese Äste waren vor vielen, vielen Jahren zu einem Querbalken zwischen den Bäumen zusammengewachsen: Caerroil Wildholz' Galgen. Die gefährlichsten seiner Feinde hatte er hier gehenkt. Lindens Zögern am kleinen Kochfeuer der Mahdoubt fiel nun endgültig von ihr ab. Sie fühlte sich bei jedem Schritt stärker, als sie den Bühl erstieg, konnte jetzt wieder denken, wieder planen. Auf diesem kahlen Hügel, unter diesen erbarmungslosen Bäumen war sie bereit, jede Gunst anzunehmen – und jeden Preis dafür zu zahlen.
Auf dem Hügelkamm hielten sie und ihre Begleiterin inne, und einen Wimpernschlag später war Caerroil Wildholz an ihrer Seite, Lieder im Gewand und helles Silber in den Augen. Die Mahdoubt senkte den Blick, als sei sie verlegen wie ein kleines Schulmädchen. Aber Linden hielt den Kopf erhoben, ihren Stab in der Hand und wartete darauf, dass der Forsthüter ihr seine Absichten erläutern würde.
Eine Zeit lang beachtete er keine der beiden Frauen, sondern sang für sich selbst. Sein Lied erzählte von Wüterichen und herben Verlusten, von einem verblassenden Interdikt, als der Koloss am Wasserfall schwächer wurde, von Gräuelingern und raffgierigen Königen und Verachtung. Und es erinnerte an die Zeit des Einholzwaldes, als das Land wie von seinem Schöpfer beabsichtigt floriert hatte, ohne dass Forsthüter die Überreste der ausgeplünderten Wälder hatten schützen müssen. Vielleicht sondierte er so die eigenen Absichten und seine Entscheidung, Linden und die Mahdoubt leben zu lassen. Linden ahnte, dass außergewöhnliche Enthüllungen aus der Frühgeschichte des Landes hinter seinen Weisen zu hören gewesen wären, wenn sie nur lange genug zugehört hätte. Vielleicht hätte sie erfahren, wie die Wüteriche geboren worden und aufgewachsen, wie sie unter Lord Fouls Herrschaft gekommen waren. Und sie hätte erfahren können, weshalb nicht einmal die große Macht der Forsthüter ausgereicht hatte, um die Wälder zu erhalten. Aber sie hatte keine Geduld mehr für lange Geschichten, die ihr nichts nutzten. Ohne lange darüber nachzudenken, unterbrach sie die schwelgerische Träumerei der Musik: »Die Wüteriche kannst du nicht aufhalten. Das weißt du. Tötest du ihren Körper, macht ihr Geist einfach weiter.«
Er richtete das durchdringende Silber seines Blicks auf sie, als habe sie ihn gekränkt, doch trotz seines alten Zorns schlug er nicht zu: »Dennoch bin ich sehr begierig darauf, sie ...«
Linden unterbrach ihn erneut. »Aber in ferner Zukunft wird einer von ihnen sterben.« Samadhi Sheol würde von Grimme Blankehans und der Sandgorgone Nom in Stücke gerissen werden. »Das ist möglich. Darauf kannst du hoffen.«
Damit gefährdete sie die Zeit, das wusste sie. Jede Erwähnung der Zukunft des Landes konnte Caerroil Wildholz' Verhalten an irgendeinem Punkt seines langen Lebens beeinflussen. Aber die Mahdoubt tat nichts, um sie daran zu hindern oder zu warnen, und Linden war schon größere Risiken eingegangen. Die Zeit des Zögerns lag hinter ihr. Konnte sie irgendwas sagen oder tun, um den Forsthüter auf ihre Seite zu ziehen, würde sie damit nicht hinter dem Berg halten. Doch er reagierte eher kummervoll als mit grimmiger Vorfreude. Seine Musik wurde zu einem Klagelied, in dem unbestimmbare Trauer sich mit unglücklicher Selbsterkenntnis mischte: »Solange es Menschen und Ungeheuer gibt, die Bäume töten, kann es für keinen Forsthüter Hoffnung geben. Jeder Tod schwächt mich. Die Erdzeitalter sind kurz, und ich bin schon nicht mehr, wie ich einst war. Aber du hast gesagt, dass es zum Tod eines Wüterichs kommen wird. Woher weißt du das?«
Linden hielt seinem Blick stand. »Ich war dabei.«
Ihre Vergangenheit war die Zukunft des Landes. Sie wagte kaum, sich vorzustellen, Caerroil Wildholz würde sie verstehen, ihr sogar glauben. Aber ihre Behauptung schien ihn nicht zu verwirren. Dass sie in eine andere Zeit verschleppt worden war, erkannte er vielleicht ebenso deutlich wie die Grasflecken auf ihren Jeans.
»Und du hast dabei eine Rolle gespielt?«, fragte er, während der große Wald eifrig das Echo seiner Worte zurückgab.
»Ich habe gesehen, wie es passiert ist«, antwortete Linden ruhig. »Das war alles. Ich war damals noch nicht, was ich jetzt bin.«
Einige Augenblicke lang schien der Forsthüter gedankenverloren mit den Bäumen zu harmonisieren. Die Mahdoubt betrachtete ihn jetzt zufrieden. Dabei summte sie halblaut
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