Die Rückkehr des Zweiflers - Covenant 08
aufzublitzen. »Die Lady muss ihren Stab loslassen. Wie will sie sonst die Brühe löffeln?«
Linden konnte den Stab nicht loslassen. Ihre verkrampfte Hand ließ sich nicht öffnen. Und sie würde den Stab brauchen. Wie sollte sie sich sonst verteidigen?
Trotzdem glitt er aus ihren Fingern und fiel lautlos auf den feuchten Blätterteppich.
Die Mahdoubt nickte sichtlich zufrieden, dann holte sie aus einer Innentasche oder einem Beutel unter ihrem Umhang eine Holzschale hervor. Während sie die Schale mit Eintopf und Fleischbrühe füllte, sprach sie mit dem Kochfeuer und der finsteren Nacht, als habe sie Lindens Anwesenheit vergessen: »Gewisslich mussten die Feinde der Lady sie aus ihrer eigenen Zeit entführen, in der sie von Mächten unterstützt worden wäre, die sie nicht leicht hätten überwinden können – von Urbösen und Wegwahrern, vielleicht auch von anderen. Außerdem haben sie gefürchtet – und das zu Recht –, was in dem Alten steckt, mit dem die Lady sich angefreundet hat.« Ohne Linden anzusehen, holte sie unter ihrem Umhang einen Löffel hervor, steckte ihn in den Eintopf und drückte die Schale dann Linden in die Hände, und gehorsam wie ein Kind begann Linden zu essen. Auf irgendeiner unterschwelligen Ebene begriff sie, dass die Alte ihr das Leben rettete – zumindest vorläufig –, aber sie war sich dessen nicht bewusst. Sie konzentrierte sich ganz auf die Stimme der Mahdoubt. Während sie aß, existierten für sie nur die Worte der Alten und die Gefahr, das Lied des Forsthüters könne erklingen.
»Aber sobald die Lady von aller Unterstützung abgeschnitten war«, erklärte die Mahdoubt Linden und den Bäumen, »wäre ihr Tod zwecklos gewesen. Tatsächlich wollten ihre Feinde sie nie töten. Sie wollen, dass sie die Last des Verhängnisses des Landes trägt. Und die Wirkung von Weißgold ist weit geringer, wenn es nicht freiwillig überlassen wird. Zudem hätte sie niemals eingewilligt, sich an einem Kampf zu beteiligen, der den Bogen der Zeit gefährden könnte. Mit dem Stab des Gesetzes hätte sie vielleicht alles heilen können. Und sie hätte ihre Verräter mit wilder Magie auslöschen können. Genau das wollten sie natürlich nicht. Auch konnten sie den Bogen nicht direkt angreifen, weil die Lady sie dann gewisslich ausradiert hätte. Solchen Bösewichten ist Selbsterhaltung stets wichtiger als der Wunsch, das Leben und die Zeit zu vernichten.«
Linden nickte, während sie langsam den heißen Eintopf löffelte. Sie war zu erschöpft, um wirklich zu begreifen, was die Frau sagte, aber sie verstand immerhin, dass es eine Erklärung für das Verhalten Rogers und des Croyel gab.
Die gelassene Ruhe der Alten gab ihr wohltuende Gewissheit: »Auch konnte die Lady nicht einfach in dieser Zeit zurückgelassen werden, während die Verräter nach der Macht des Gebots strebten. Sie hätte Mittel oder Bundesgenossen finden können, um sie anzugreifen, ehe sie ihr Ziel erreicht hatten. Auch konnten sie nicht sicher sein, durch Gebrauch dieser Macht ans Ziel zu gelangen, denn das Blut der Erde ist gefährlich. Jedes Gebot kann sich gegen den wenden, der es ausspricht, und jene ins Unglück stürzen, die keinen Tod fürchten außer ihren eigenen.«
Ganz allmählich begann Linden, in den Worten der Alten Stränge einer Melodie zu entdecken – oder sich das zumindest einzubilden. Aber auch sie waren wieder einer Halluzination oder einem Traum ähnlich. Wirklich sicher war sie sich nur der Stimme der Mahdoubt. Ohne es recht zu merken, hatte Linden die Holzschale ausgelöffelt. Die Alte musterte sie, nahm ihr die Schale aus der Hand, füllte sie erneut und gab sie Linden zurück. Aber während sie das tat, sprach sie weiter: »Die Mahdoubt stellt nur Vermutungen an. Das versichert sie sich selbst. Deshalb fürchtet sie sich nicht davor, zu vermuten, dass es den Verrätern der Lady vor allem darum gegangen ist, der Lady Schmerzen zu bereiten.«
Den Bäumen und der dunklen Nacht zugewandt, griff sie erneut unter ihren Umhang und zog eine Flasche heraus, deren enger Hals mit einem Holzstöpsel verschlossen war. Das Glas glitzerte chromoxidgrün und turmalinblau, als die Mahdoubt den Stöpsel herauszog und Linden die Flasche hinhielt. Als Linden trank, schmeckte sie Frühlingswein, und ihre Sinne verloren etwas von ihrer Benommenheit. Jetzt war sie sich fast sicher, in der Stimme der Alten Noten und Wörter, Fragmente eines Lieds zu hören. Sie konnten staubige Öde und Hass von Händen oder
Weitere Kostenlose Bücher