Die Rückkehr des Zweiflers - Covenant 08
den Stab nur, weil ihre Finger nicht an den Stein in ihrer Brust herankamen. »Wenn ich nicht in dieser Zeit festsitze, will ich nach Andelain. Vielleicht sind die Toten noch dort.« Vielleicht war auch Covenant noch dort: der richtige Thomas Covenant, nicht Roger als sein bösartiger Doppelgänger. Ihre Sehnsucht nach ihm wuchs mit jedem Herzschlag. »Vielleicht helfen sie mir.« Sogar der Geist Kevin Landschmeißers hatte sie einst beraten, soweit das seine Qualen zuließen. »Aber selbst wenn sie es nicht tun ...«
Als Linden verstummte und Ideen zurückhielt, die ihr seit Tagen durch den Kopf gingen, forderte die Mahdoubt sie auf: »Lady?«
Schroff fuhr Linden fort: »Vielleicht kann ich Loriks Krill finden.« Wie sie gehört hatte, konnte durch diesen unheimlichen Zauberdolch unbegrenzt viel Macht ausgedrückt werden. »Covenant und ich haben ihn in Andelain zurückgelassen.« In Jahrtausenden von heute würde er jemandem die Möglichkeit geben, das Gesetz des Lebens zu brechen. Und der in ihn eingesetzte durchsichtige Edelstein hatte stets auf Weißgold reagiert. »Ist er noch da, habe ich eine Waffe, die mir gestattet, wilde Magie und meinen Stab gleichzeitig einzusetzen.«
Hätte die Mahdoubt sie gefragt, wozu sie solch gewaltige Macht einsetzen wolle, wäre Linden um eine Antwort verlegen gewesen. Natürlich brauchte sie viel Macht, um gegen Feinde wie Roger, Kasteness und den Verächter bestehen zu können. Aber sie hatte angefangen, auch über andere Möglichkeiten nachzudenken – über Alternativen, die sie kaum hätte aussprechen können. Dass sie die Not des Landes nicht allein lindern konnte, wusste sie. Jetzt führte jeder Versuch, sich irgendeine Art Hoffnung vorzustellen, zu Covenant zurück.
Aber die Alte stellte keine weiteren Fragen. Sie zog ihren Umhang enger um sich und schien zu schrumpfen: »Dann darf die Mahdoubt nicht mehr sagen.« Die Stimme der vermummten Gestalt klang dumpf und betrübt. »Die Lady besitzt alles, was sie benötigt. Und ihre Absichten übersteigen den geistigen Horizont der Mahdoubt. Sie sind beängstigend und schrecklich. Die Lady spielt mit Vernichtung.« Dann wandte sie sich unvermittelt erneut direkt an Linden: »Trotzdem haben ihre Jahre die Mahdoubt gelehrt, dass im Widerspruch Hoffnung liegt. Ruin und Erlösung sind manchmal nicht voneinander zu unterscheiden. Das ist gewisslich wahr. Darauf wird sie vertrauen, wenn alle Zukunft grausam geworden ist. Lady, wenn du der Mahdoubt gestattest, dich anzuleiten, schiebst du solche Gedanken beiseite, bis du geruht hast. Schlaf besänftigt den gequälten Geist. Sieh!« Eine Hand der Alten kam unter dem Umhang hervor, um auf die Flasche zu deuten. »Frühlingswein kann Schlaf befördern. Lass dich von ihm einlullen. Darum bittet sie dich. Hastest du auf die Vernichtung der Erde zu, beeilt sie sich, dir zu begegnen.« Dann zog sie ihre Hand wieder ein und hockte unbeweglich an dem ruhig brennenden Kochfeuer, als sei sie bereits eingeschlafen.
Ihre Bemerkungen waren ebenso nichtssagend wie ihre Ratschläge. Die Lady besitzt alles, was sie benötigt. Mit solchen Behauptungen konnte Linden nichts anfangen – oder sie verstand sie nicht. Aus ihrer Sicht erhielten Wörter wie Vernichtung nur durch ihre eigene Unwissenheit und Hilflosigkeit irgendeine Bedeutung. Trotzdem widersprach Linden nicht, flehte auch nicht. Sie stellte auch keine Forderungen. Die Mahdoubt war in diese Zeit gekommen, um sie zu retten; davon war sie überzeugt. Der Wunsch der Alten, hier etwas Gutes zu tun, war trotz der Vernebelung durch ihre seltsamen Moralvorstellungen unverkennbar. Sie hatte unvorstellbare Entfernungen zurückgelegt, um Lindens einfache Grundbedürfnisse zu befriedigen. Sie hatte für Linden gesprochen, als Caerroil Wildholz sie vielleicht hatte töten wollen. Ihre menschliche Aura, ihr Auftreten und ihr Verhalten – alles an ihr, was Lindens Wahrnehmungsgabe erfassen konnte – wirkten überzeugend. Und sie hatte darauf bestanden, Linden sei nicht unwissend. Die Lady besitzt alles, was sie benötigt.
Linden erhob sich, als sie dem Druck ihrer aufgestauten Emotionen nicht länger standhalten konnte, griff nach ihrem Stab und wanderte in ihrer Hilflosigkeit auf dem durchgefrorenen Boden des Uferstreifens entlang. Obschon der Groll und die Wut des Galgenbühls sie leise drängend zu rufen schienen, wagte sie sich nicht unter die Bäume. Der Galgen des Forsthüters hätte ihren Zorn erkannt und gebilligt, doch sie hatte nicht den
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