Die Rückkehr des Zweiflers - Covenant 08
gespickt. Angesichts der Gefahren, die ihren Freunden und ihr auf allen Seiten drohten, erkannte Linden in Kevins Not eine Prophezeiung. Er wollte bestraft werden ... Auch diese Ängste verdrängte sie vorerst lieber. Alles andere jedoch schilderte sie so klar und deutlich, wie sie nur konnte: Covenants und auch Jeremiahs Fremdheit; die egozentrische und gestelzte Beziehung zwischen ihnen; die Diskrepanz zwischen beiden und Lindens Erinnerungen an sie; die indirekte Unzulänglichkeit und gelegentliche Verachtung in ihren Antworten. Indem sie den Stab an ihre Brust gedrückt hielt, gestand sie, dass Covenant seinen Ring zurückgefordert, aber nicht von ihr erhalten hatte. Mit einiger Schwierigkeit gab sie zu, die Ursache für ihr Widerstreben und ihre Verzweiflung könne in ihr selbst liegen. Und zum Schluss erzählte sie ihren Freunden, dass Covenant eine kleine Gegenleistung gefordert hatte: Wenigstens ein bisschen Vertrauen.
Dann brauche ich dir nicht zu erklären, was ich vorhabe. Ich kann es dir zeigen.
»Darüber hinaus kann ich euch nur noch eines erzählen«, schloss sie mit leiser Stimme. »Sie lieben mich nicht mehr. Dafür haben sie sich zu sehr verändert. Dieser Teil von ihnen ist gestorben.«
Mit diesen Worten schien ein Schwall von Mattigkeit ihren letzten Rest Kraft fortzuschwemmen. Die Anstrengung, ihre Gefühle im Zaum zu halten, hatte sie ausgelaugt, und sie merkte, dass sie die belebende Wirkung der Schatzbeeren im Frühjahrswein ebenso brauchte wie wenigstens eine gewisse Betäubung. Nachdem sie ihren Becher zur Hälfte geleert hatte, nahm sie sich etwas Obst, kaute lustlos darauf herum und hielt den Kopf gesenkt, um der Unsicherheit und Ängstlichkeit ihrer Gefährten auszuweichen.
Die anderen saßen ihr lange schweigend gegenüber. Sie hatten zu essen aufgehört; sie schienen fast nicht mehr zu atmen. Dann fragte Liand vorsichtig: »Wenn der Zweifler in diesem Punkt deine Hilfe sucht – gewährst du sie ihm?«
Linden hob ruckartig den Kopf. An diese Möglichkeit hatte sie gar nicht gedacht ... Aber Liands Frage war natürlich vernünftig. Weshalb war Covenant sonst hergekommen und hatte sogar Jeremiah mitgebracht? Natürlich wollte er seinen Ring zurückhaben. Aber er war darauf vorbereitet – darauf gefasst? – gewesen, dass sie sich weigern würde; das hatte er selbst gesagt. Wieso hatte er dann einen Vertrauensbeweis von ihr gefordert? Ich weiß andere Mittel, diese kritische Situation zu meistern. Jeremiah und er hätten sie einfach wegschicken und seine anderen Pläne in die Tat umsetzen können – außer diese anderen Pläne erforderten ihre Mitwirkung.
Wir treffen uns morgen früh auf der Hochebene.
»Das muss ich wohl«, antwortete sie langsam. »Ich weiß schon jetzt, dass mir nicht gefallen wird, was sie von mir verlangen werden. Helfe ich ihnen jedoch nicht, erfahre ich nie die Wahrheit. Über keinen von beiden.«
Tatsächlich konnte Linden sich nicht vorstellen, sie zurückzuweisen. Die beiden wollten irgendwie ihre Hilfe. Sie hatten Grund, sich vor ihr zu fürchten. Sie ließen sich nicht von ihr berühren. Die Wahrheit war ihr so wichtig geworden wie das Leben ihres Sohns.
Im nächsten Moment ließ Stave seine bisher verschränkten Arme sinken, als mache er sich zum Kampf bereit. »Du hast dem Ur-Lord erklärt, dass du den Stab gebrauchen wirst. Was hast du damit vor?«
Linden legte ihre Wange an die vertraute Glätte des Stabs. »Das erfahrt ihr noch«, versprach sie. »Bevor ihr geht, machen wir selbst Pläne. Aber dieser ganze Tag ...« Sie verzog das Gesicht. »... hat mich gewaltig viel Kraft gekostet. Ich brauche etwas Zeit.«
Über den Tisch hinweg wandte sie sich an Liand und die Ramen. »Und ihr habt mir etwas zu erzählen. Das kann ich spüren. Euch ist etwas zugestoßen, das über ein Bad im Glimmermere hinausgeht. Wenn ihr bereit seid, darüber zu sprechen, möchte ich es gern hören.«
Mahrtiir, Bhapa, Pahni und Liand wurden sofort unruhig, als habe sie eine vergessene Sorge angestoßen. Anele schien nicht mitbekommen zu haben, dass Linden gesprochen hatte, und Stave ließ keine Reaktion erkennen. Die Blicke der anderen trübte Unentschlossenheit; keiner von ihnen sah sie direkt an. Liand betrachtete seine Hände, Bhapa starrte ins Kaminfeuer, als gäben die Flammen ihm Rätsel auf, und Pahni konzentrierte ihre sorgenvolle Aufmerksamkeit ganz auf Liand. Mahrtiir schloss die Augen und machte ein finsteres Gesicht, als wolle er seine Gefühle verbergen.
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