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Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minelli Michele
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waren gar aus echtem Gold, wie man sagte, und vor dem sie bei der Begrüßung eine langsame Umdrehung machen musste, auf dass er sie beäugen konnte – noch vor dem Begrüßungskuss! –, und dem sie die Finger einzeln hinzustrecken hatte, ob sie denn auch alle sauber geputzt waren, und die Haarschnecke auch, die er auf ihre Akkuratesse untersuchte, und da war Tante Röschen, die ihr regelmäßig Luzerner Birewegge mitbrachte. Und die Cousinen Rita, Rösli, Elise und Ruth – ach! Alda kämpfte mit den Schuhen, aber ohne sie ordentlich aufzuschnüren, würde sie sie wohl doch nicht von den Füßen und über die Fersen hebeln können.
    Und als sie noch damit beschäftigt war, die Schürze über dem Rock glattzustreichen, und ihre Haarschnecke befühlte, ob sie satt saß und sich daraus kein Härchen befreit hatte, drangen ebendiese Worte an ihr Gehör, die sie heuteNacht nicht schlafen ließen: »Aber ein Röötschi. Wirklich, Lorli«, rief Onkel Eduard lachend, »das hat es in unserer Familie noch nie gegeben.«
    »Ich weiß auch nicht, es ist doch nicht wirklich rot, ja nur ein bisschen, nur …«, versuchte Mutter zu beschwichtigen, und der Vater mischte sich ebenfalls ein: »Es stimmt schon, in unserer Linie hat es so was nie gegeben. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer.«
    »… ein Schimmer«, beendete die Mutter ihren Satz.
    »Ich mein ja nur, die Leute reden.«
    »Die Leute reden immer.«
    »Das ist es nicht, Lorli. Wenn man das Mädchen ansieht, fragt man sich halt, welchem Teufel sie vom Karren gefallen ist. Auch ihre Hände.«
    »Was ist mit ihren Händen?«
    »Eduard, lass doch, das ist jetzt nicht mehr lustig«, hatte sich da die Tante zu Wort gemeldet.
    »Nein, das muss einmal gesagt sein: Das Mädchen hat Teufelshände, ihre Nägel sind rötlich, als wären sie aus glühender Kohle geschmiedet. Und die Finger viel zu breit, zu klobig. Das passt nicht in unser Geschlecht«, und dann schloss er: »Mit dem Kind schießt du wirklich den Vogel ab.«
    »Wie willst du wissen, ob in unserem Blut nicht doch auch Rothaariges fließt?«
    »Mein Ahnenstamm reicht bis ins 15. Jahrhundert zurück, und ich kann dir versichern, Lorli, gell, Hannes, du bestätigst mich darin, das waren alles ehrbare Bürger, Fürsprecher und Weinstecher, alles gehobene Leute, mit Papieren belegt, und keiner rot!«
    Die Mutter schwieg. Sie wusste nur zu genau, dass es in ihrer eigenen Ahnenreihe einen dunklen Fleck gab, eine Ungereimtheit, einen Sprung in der Tafel. Zwei ausgefranste Enden, die nicht recht miteinander zu verwebenwaren. Aber bislang hatte niemand darüber ein Aufheben gemacht. Sie war Zugerin, und ihre Herkunft hatte nie Anlass zu Tadel gegeben.
    »Ja, mich musst du nicht anschauen, Lorli.« Es klang irgendwie unecht. In Aldas Ohren begann ein Rauschen. Ihr Vater wollte nicht recht zu ihr halten in dieser Sache. Und wenn sie tief in sich hineinschaute, wusste sie, dass sie sich selbst schon gefragt hatte, woher sie diese roten Haare hatte. Ein Loderfeuer, ganz besonders dann, wenn die Sonne hineinlangte. Deshalb war es ja auch das Beste, zu tun, was Mutter empfahl: die Haare in einen engen Knoten zu binden und mit Schleifen zu ummanteln oder in zwei runde Schnecken zu flechten oder noch besser: in nur eine, so dass man sich mehr auf das Gesicht konzentrierte und diese Haare Nebensache wurden.
    »Ich meine es ja nicht böse, Schwägerin. Ich meine nur, es wird einmal schwierig sein, das Mädchen unter die Haube zu bringen.«
    »Dafür ist noch ausreichend Zeit«, versuchte es die Mutter noch einmal.
    »Ihr Weibsbilder! Täuscht euch da bloß nicht. Die Jugend von heute ist verderbt, die Mädchen unserer Zeit treffen sich über die Geschlechter hinweg, noch bevor du einmal geblinzelt hast, wirst schon sehen. Und wenn ihr bei eurer Esmeralda nicht aufpasst, dann ist sie bald nicht mehr nur rot, sondern auch in Verruf. Dann wird sie keiner mehr haben wollen hier im Kanton.«
    Heute Nacht war nichts zu machen. Die Furcht plagte sie ganz grauenhaft, und Esmeralda, Alda, überlegte, wie sie einem Schicksal, dereinst als alte Jungfer sterben zu müssen, entfliehen könnte.
    Vielleicht werde ich weggehen müssen, fort von hier und in ein anderes Städtchen, wo mich in diesem ja doch jeder kennt. In ihr krampfte sich alles zusammen bei dem Gedankendaran, Zug verlassen zu müssen. Aber da gäbe es wohl nichts, denn wie Mutter immer sagte: Zug ist so klein, wenn du ein Weggli isst und beim ersten Bissen an der einen Kantonsgrenze

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