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Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minelli Michele
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jedenfalls war hell begeistert ob des Enkels.
    Elia erinnerte sich, wie er mit einer gewissen Ungeduld auf die Abreise seiner Mutter gewartet hatte; hätte er geahnt, dass er sie nie wiedersehen würde, wäre er ihr vielleicht doch noch etwas entgegengekommen. Aber er war ja sobeschäftigt, war der Kapitän auf seinem eigenen Familienschiff, Cheina schon wieder schwanger, das rief nach einer strikten Planung, noch eine Geburt in aller Öffentlichkeit würde er zu verhindern wissen.
    Pierre Isaac Israël war dann im Frühling 1919 in Genf zur Welt gekommen. Ein feister, schneeweißer Säugling mit einem Organ, das ihn bereits wenige Tage nach der Geburt zum Trompetenspiel prädestinierte; im Sommer 1922 strampelte das dritte Kind, Rochelle Sarah, im Körbchen, und die wechselnden Kindermädchen hatten alle Hände voll zu tun. Damals spielte Abel bereits Geige. Konzentriert und wie in sich und die Musik hinabgesenkt, ähnelte er dabei sehr seiner ernsten Mutter. Das Geigenspiel war ihre einzige Verständigungsebene, in dieser Hinsicht war sich Cheina treu geblieben, einen anderen Zugang zu ihr gab es für alle ihre Kinder nicht.
    Man nannte Abel »Wunderkind«, ein Begriff, der nun auch auf den Handzetteln seine Wirkung tat. Spielzeug suchte man im Haushalt Elia Costantino Isräel noch immer vergeblich – mag sein, weil er selber damit überschwemmt worden war durch seine Mutter, mag sein, weil auch seine Frau nie ein einziges Holztierchen, kein Blechauto und nicht einmal eine Puppe besessen hatte. Oder sich zumindest nicht daran erinnern wollte. Die Kinder sollten frühzeitig an das entbehrungsreiche Leben als Musiker gewöhnt werden, an die langen Übungsstunden, das Durchhaltevermögen, die Selbstüberwindung, Disziplin.
    Einmal, als Cheina mit Rochelle schwanger war, spielte die Familie eine Saison lang im Grand Hotel in Zermatt. Eines Abends war ein Herr gekommen, geölte Haare, Menjoubärtchen, schwerer, doch stechender Blick, auch seine Frau war von distinguierter Eleganz. Unschwer zu erkennen, dass es sich um Mitglieder der Classe politique handelte. Die zwei grüßten den Chef d’Orchestre, und Elia grüßtemit einem galanten Nicken zurück. In einer Spielpause beobachtete Elia ein Tuscheln der Eheleute. Als ihn kurz darauf der Herr mit einer respektvollen Geste an seinen Tisch bat, war Elia zur Stelle. »Meine Frau Gemahlin wünscht sich ein Stück aus La Traviata. Hätten Sie wohl die Freundlichkeit, etwas aus La Traviata für uns zu spielen, Maestro?«
    »Avec plaisir, Monsieur.« Elia empfahl sich, ein paar Schritte rückwärtsgehend. In seiner schroffen Art wies er sein Orchester an, und schon spielten sie sich in die Oper ein. Cheina beherrschte ihr Solo perfekt, und das Orchester wurde mit einem Applaus bedacht, den die Dame in ihre weißen Handschuhe klatschte. Diese Episode wiederholte sich nun Abend für Abend, bis Elia am siebten Abend, kaum dass er das Ehepaar den Salon betreten sah, ein Zeichen machte und das Orchester La Traviata gab.
    Diesmal applaudierte die Dame nur kurz, aber Elia bemerkte, wie sie ihren Gatten in ein Gespräch zog, ihr spitzer Mund formte Wort um Wort, und ein jedes schien sie mit Nachdruck auszusprechen. Die Hin- und Herbewegung des Kopfes ihres Mannes schien abzuwiegeln. Elia sah, dass die Frau nicht aufgab, und als sein Orchester schon wieder ein neues Stück anspielte, redete sie noch immer auf ihn ein.
    Ungeachtet dieses einen Misserfolges spielten sie jedes Mal, wenn sie das Paar kommen sahen, Stücke aus der Verdi-Oper, im unbestätigten, aber hoffnungsvollen Gefühl, dass dies den Erwartungen der Herrschaften entsprach.
    Schließlich kam das Ehepaar, um sich bei Elia und den Musikern zu verabschieden. Dabei reichten sie auch Cheina die Hand. Der Mann sagte zu ihr: »Es ist ja sehr nett, dass Sie für uns immer dieses Solo aus La Traviata spielen. Wir möchten uns für Ihre Aufmerksamkeit bedanken.«
    Cheina nickte kaum, sie hatte die Lippenstiftfarbe der Dame bemerkt, Fuchsia, und war davon ganz abgelenkt.
    »Aber gerne doch, Madame, Monsieur«, charmierte Elia,der wortgewandt von einer Sprache in die andere wechselte. Mit Zufriedenheit betrachtete der Herr reihum die Musiker, dann fragte er: »Aber wissen Sie denn auch, wer ich bin?« Elia stutzte. »Nun, Sie sind sehr freundliche Gäste …«, aber der feine Herr sprach: »Ich bin der Präsident der Conféderation. Und das ist meine Gemahlin.«
    »Ah«, hauchte da Elia, »enchanté.«
    »Ihr seid Italiener, wie

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