Die Ruhelosen
(Bürgerliche Sektion) betreffend Erteilung des Gemeindebürgerrechtes an G. Senigaglia und Familie an der Dorfstraße …«
Guerrino wusste nicht, befand er sich in einer Zeitschlaufe wie in einem jener abenteuerlichen Filme, die man neuerdings im Wanderkino zu sehen bekam, oder war er in einen Zeitschlitz gefallen, es dauerte ihm viel zu lange, dieses Dahocken, dieses Hutverkrampfen, dieses Verstehenwollen, und was, wenn man seinen Antrag nun abgelehnt hätte? Würde dann der Herr Rechtsanwalt dieserart umständlich daherschwadronieren? War das der Grund? Kurvte er deshalb um den heißen Brei herum? Weil er vielleicht doch das eine oder andere Mal eine Ente zu viel geschossen hatte? Weil er seinen letzten Chef de Service zum Teufel gejagt hatte? Weil er auf eine unergründliche Weise in den Augen dieser perfekten Schweizer versagt hatte? Er, Guerrino, der Krieger aus Bèrghem? Er glaubte, dem Manne, der ihm da gegenübersaß in seinem kostspieligen Dreiteiler, mit dem seidenen Pochettli in der geschrägten Jackettasche, dem Zwicker auf der Nase und dem Stundenglas im Sinn, die Worte einzeln aus dem Mund purzeln zu sehen, nur dass er sie nicht aufzufangen vermochte, seine Hände gehorchten ihm nicht, er würde aufpassen müssen, dass ihm das Strohgeflecht in der Hand nicht ganz zerknickte.
»… sowie sechstens Aurora Senigaglia, geboren ebendaselbst am 26. Dezember 1913, alle wohnhaft an der Dorfstraße in Küsnacht, werden gegen Zahlung einer Einkaufsgebühr
von Fr. 500.– in das Bürgerrecht der Gemeinde Küsnacht aufgenommen.«
»Come …?«
»Ich bin noch nicht fertig. Weiter heißt es da:
Weisung. G. Senigaglia hat mit Eingabe vom 22. Februar 1921 um Erteilung des hiesigen Gemeindebürgerrechtes nachgesucht. Senigaglia ist seit dem 15. Juni 1908 ununterbrochen in unserer Gemeinde wohnhaft, und er und seine Angehörigen haben sich stets einer guten Führung …«
»Wie Comsola immer gesagt hatte …«
»… befleißigt und nie zu Klagen Anlass gegeben. Senigaglia besitzt hier ein eigenes Wohn- und Geschäftshaus und ein eigenes Viktualiengeschäft. Für eine Ablehnung des Gesuches liegen keine Gründe vor, und es kann demselben entsprochen werden. Das Gesuch ist begleitet von folgenden Akten …«
Hatte er gesagt:
entsprochen werden
? Und was ist das mit dem Wort Ablehnung? Haben wir doch etwas falsch gemacht?
»… empfiehlt dem Antrage zuzustimmen.«
»E?«
»Die über den Antrag freigegebene Diskussion wird von keiner Seite benützt,
das heißt, keiner hat was gegen Sie, Senigaglia, Sie und Ihre Familie werden daher in das Bürgerrecht der Gemeinde Küsnacht aufgenommen. Unterschrieben haben das der Präsident der Bürgergemeindeversammlung Hausamman sowie der Sekretär Hügeli. Stimmenzähler waren Sigg und Hugentobler. Schauen Sie, hier! Nun ist es nur noch eine Formalität.«
Diese Formalität löste sich am 12. August 1921 in Wohlgefallen auf, und zwar in der Sitzung des Regierungsrates, wie dem Protokoll zu entnehmen war:
2544. Landrecht.
Das Statthalteramt Meilen übermittelt am 20. Juli 1921 das Gesuch des Gemeinderates Küsnacht
um Erteilung des Landrechts an Guerrino Senigaglia, Inhaber eines Comestiblesgeschäftes, von Alzano-Lombardo, Italien, geboren am 30. Juni 1880, wohnhaft in Küsnacht, welcher nach Beibringung der bundesrätlichen Einbürgerungsbewilligung vom 12. Februar 1921 und nach Erfüllung der übrigen gesetzlichen Erfordernisse unter Vorbehalt der Erteilung des Landrechts mit seiner Ehefrau Comsola Rodope, geborene di Bosco, geboren am 25. September 1881, und seinen 6 minderjährigen Kindern: Tullio, geboren am 1. November 1904, Benedetto, geboren am 20. Dezember 1905, Nunzio, geboren am 10. Oktober 1907, Severino, geboren am 6. September 1909, Ultimo, geboren am 15. September 1911, und Aurora, geboren am 26. Dezember 1913, gegen eine Einkaufsgebühr von Fr. 500 am 26. Juni 1921 in das Bürgerrecht der Gemeinde Küsnacht aufgenommen wurde. Senigaglia wohnt seit 1908 in Küsnacht.
Auf Antrag der Direktion des Innern beschließt der
Regierungsrat:
Die Aufnahme des Guerrino Senigaglia, Inhaber eines Comestiblesgeschäftes, von Alzano-Lombardo, Italien, sowie seiner Ehefrau und der 6 minderjährigen Kinder in das Bürgerrecht der Gemeinde Küsnacht wird bestätigt, und es wird diesen Personen das Landrecht des Kantons Zürich und damit das Schweizerbürgerrecht erteilt.
Landrechtsgebühr wird auf Fr. 390 festgesetzt. Sie ist innerhalb 4 Wochen, von der Zustellung
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