Die Ruhelosen
gedämpft hielten und keinen unnötigen Lärm verursachten, der den Vater in seinen wichtigen Gedanken hätte stören können. Und sie hatte sicherzustellen,dass der Sohn, Urial, sich nicht im Ton vergriff; die beiden Großen wussten es schon, dass sie den Vater zu siezen hatten, bei den anderen dreien, Urial, Neus und Eulalia, war das noch so eine Sache, die nur allzu rasch zu Unmut und bösen Blicken ihr, dem Kindermädchen, gegenüber, führen konnte.
Nach einem kargen Frühstück, einem Glas Milch pro Kind, die sie aus aufgekochtem Wasser und einem Löffel Kondensmilch zusammenrührte, und ein paar Keksen, zog sie ihnen die Jacken und Mäntelchen über und brachte sie in die nahe gelegene Schule. Meistens schien die Sonne schon. Aber wenn es regnete, waren die Pflastersteine rutschig, und in Barcelona konnten Wolkenbrüche wie aus dem Nichts aus einem vormals heiteren Himmel herabstürzen. Da musste man gewappnet sein, das milde Mittelmeerklima hatte durchaus auch seine Tücken. Ein verdrecktes Kind wäre das Letzte, was ihr Dienstherr geduldet hätte.
Nur zu gern hätte sich Alda auf dem Nachhauseweg umgeschaut, wäre in die eine oder andere Gasse geflüchtet und hätte so für sich die Welt entdeckt. So viele neue Gerüche, so viele unbekannte Geräusche, aber die Furcht vor der wöchentlichen Beichte in der Kirche, wo es immer so schrecklich zugig war und die Luft ganz wächsern von all den Kerzen, war doch zu groß. Die katholische Kirche genoss hier, anders als zu Hause, eine enorme Macht. Alda erlebte sie als Unterdrückungsinstrument einer blinden Diktatur, und sie fürchtete sich davor, von den Kindern für irgendein Vergehen denunziert zu werden, von dem sie noch nicht einmal wusste, dass sie es begangen haben könnte.
Die Messe dauerte gut anderthalb Stunden, und der Altar war beladen mit Ballast und aufgetürmtem Prunk. Sie war froh, wenn ihr Woche für Woche überhaupt etwas einfiel, das sie zur Beichte tragen konnte, ein Zimmer, das sie vergessenhatte von Staub zu befreien, eine Topfpflanze auf dem Patio, die sie versehentlich umgeworfen hatte. Ihre wöchentlichen zehn Ave-Marias, die sie sich abholte, waren so etwas wie ein stetiger Garant, dass sie den schmalen Grat des Erlaubten nicht verlassen hatte. Dass es ihr wieder einmal gelungen und sie noch einmal davongekommen war. Wie also hätte sie es tatsächlich wagen können, vom Weg abzugehen und sich in Barcelona umzuschauen? Was, wenn sie jemand dabei beobachtete? Was, wenn dieser Jemand in der Kirche davon sprechen würde? Sie verraten würde? Nein, das konnte sie nicht brauchen. Dann schon lieber die Zähne zusammenbeißen und mit dem bisschen Freude, das einem das Schicksal bot, zufrieden sein.
Tagsüber versuchte sie, die beiden Jüngsten mit dem Holzspielzeug zu beschäftigen, dann und wann setzte sie sie ins Laufgitter, um etwas Zeit zu gewinnen, die Möbel zu polieren, Staub zu wischen oder die Badeschalen sauberzubürsten.
Überhaupt wurde Waschen zu einer ihrer Hauptbeschäftigungen hier. Wenn die Kleinsten ihren Vormittagsschlaf abhielten, holte Alda den großen Wassertopf und scheuerte den Flur mit Javel, was das Fischgratparkett mit seinen hellen und dunklen Bahnen matt schimmern ließ. Alda hatte es nie begriffen: Die Besucher, die von draußen ins Haus kamen und in den großen Salon geführt wurden, mussten Überschuhe, wuchtige Pantinen aus Filz, anziehen, um das Parkett nicht zu beschädigen. Dass dabei aber der ganze Straßenstaub dennoch mit in die Wohnung gelangte, schien egal. Bei ihr zu Hause hatte man die Schuhe vor der Haustüre auszuziehen, aber hier …
Auch für die Keramikplatten auf dem Patio benutzte sie die strenge Chlorlösung, ein Geruch, den sie unweigerlich mit ganz Barcelona verband, ja, zu dem Barcelona für sie wurde.
Zum Mittagessen, das hier erst viel später als bei ihr zu Hause üblich, um ein Uhr dreißig nämlich oder gar um zwei, eingenommen wurde und zu dem der Herr nach Hause kam, gab es fast täglich Reis mit weißen Muscheln, danach ein Fischgericht, zur Abwechslung vielleicht einmal ein Hühnchen aus dem Ofen mit Bratkartoffeln und gerösteten Pinienkernen, und zur Nachspeise einen trockenen Keks. Einmal im Monat kam auch rotes Fleisch auf den Tisch, aber oft reichte die Portion nur für den Patriarchen und seine Kinder, wofür Alda der Köchin heimlich grollte. Nach dem Essen zog sich der Herr ins Fumoir zurück, den schmalen, dunklen Raum, der zugleich seine Bibliothek war, und genoss das
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