Die Ruhelosen
Zwillinge von zwei Jahren, alles Mädchen, sowie mittig eingeklemmt der einzige Junge, Urial, vier Jahre alt.
Alda hatte sich auf diese Kinder gefreut. Hatte geglaubt, sie könnte mit diesen in Parks spazieren gehen, die Ramblas hinauf und wieder hinunter zum Hafen laufen und, wer weiß, vielleicht sogar ein Stückchen am Meeresufer entlang. Der Enge Zugs zu entfliehen, das war ihr Beweggrund, weshalb sie so ohne weiteres zu diesem Auslandsjahr ja gesagt hatte. Das in der Schule gelernte Spanisch ausprobieren. Die Welt sehen, wenigstens einen Teil davon. Und Barcelona galt als Weltstadt, das wäre schon etwas, das man dereinst den eigenen Kindern erzählen könnte.
Alda hatte mit achtzehn Jahren die städtische Handelsschule abgeschlossen. Dann hatte sie einen Wunsch frei gehabt und durfte für ein paar Monate zu ihren Großeltern nach Luzern. Später hatte sie als Bürolistin in einem kleinen Betrieb gearbeitet. Weil sie dort aber nicht versauern wollte, entschloss sie sich zu einer Zusatzausbildung als Säuglingsschwester und war bei Dr. Hoppeler, einem gefürchteten Vielredner im Nationalrat, untergekommen, der ihr mitgründlicher Regelmäßigkeit aus wuchernden Notizen zum »Höhenweg der Frau«, wie er die Sammlung einstweilen nannte, Benimmbelehrungen deklamierte, sein Allerweltsmittel, mit dem er alles und jedes und vor allem eben: die Frau erklärte. »Eines Tages werde ich das alles niederschreiben müssen«, pflegte er zu jammern, und Alda fürchtete, er könnte sie dazu verpflichten, seine Krakeleien für ihn abzutippen.
Mit einundzwanzig Jahren schließlich packte sie zu, als sich die Gelegenheit bot, bei einem verwitweten Pädiater in der spanischen Hafenstadt für ein Jahr als Au-pair und Praxishilfe unterzukommen. Dass dieser Arzt fünf Kinder hatte, freute Alda ganz besonders, dass er sie entgegen der Abmachung aber nie in seine Praxis nahm, enttäuschte sie über alle Maßen.
Darüber vermochte sie auch nicht die Orangenpyramide, welche el doctor die alte Wirtschafterin täglich aufstapeln ließ, hinwegzutrösten. Konstant bat ihn Alda darum, sie mit den Kindern nach draußen, an die so überaus wichtige frische Luft gehen zu lassen, und ebenso konstant lehnte der Arzt und Patriarch ihren Wunsch ab. Die Luft sei ein Hort der Gefahren und die Erschöpfungsbereitschaft der Menschen nach Krieg und Pandemie einfach noch immer viel zu groß; er wollte nicht noch jemanden an das real gewordene Schreckensgespenst der Grippe verlieren.
In den ersten Monaten ihres Eingesperrtseins versuchte Alda ihn noch damit zu überzeugen, dass sie nebst der Kinderbetreuung fleißig in ihr Lernheft schrieb. Sie schrieb alles auf, woran sie sich erinnern konnte bezüglich Kinderkrankheiten und Kuren, die Linderung verschaffen konnten, alles über psychologische und physiologische Veränderungen während der Entwicklungsjahre, und als ihr nichts mehr einfiel, notierte sie altbekannte Heilmethoden, Kräuterweisheiten, Hausmittelchen-ABC. Als Titel hatte siemit feinem Strich die Worte
»Über die Erziehung des Kindes«
hingesetzt, begleitet von einem Zitat, das sie irgendwo abgeschrieben hatte:
Ein Kind ist eine Gottesgabe.
Ein Kind ist eine Gottesgunst.
Es zu besitzen: eine Labe,
es zu erziehen: eine Kunst.
Von A. Adams.
Nichts half. El doctor Guillerm Pujal Sobrequés schaute vermutlich nicht ein einziges Mal in ihr Heft hinein. Was ihn zu interessieren schien, war allein, ob seine Kinder brav gespielt hatten, ob ihre Mündchen und Fingerchen gewaschen und trockengerubbelt waren, ihre Stirnen sauber und gepudert und ihr Nacken gescheuert und blank. Er weiß vermutlich überhaupt nicht, wie anstrengend es ist, eines nach dem andern in die Badewanne zu bugsieren, das Wasser des Boilers dabei richtig zu kalkulieren und gleichzeitig ein Auge auf die draußen Gebliebenen zu haben, dachte Alda ärgerlich über ihn. Und noch mehr ärgerte sie, mit welchem gespielten Interesse er die Fortschritte der beiden ältesten Töchter, Nuria und Montserrat, kleinmachte, wenn sie ihm das Werk ihrer späten Nachmittage vorführten: Handarbeiten, mit Spitzen umhäkelte Taschentücher, verzierte Kochschürzen oder Tischläufer.
Und so blieb ihr Alltag ein eintöniger. Des Morgens früh leerte sie die Nachttöpfe der Familie und befeuerte den Ofen. Dann half sie den Kindern aus den Betten und kleidete sie an, derweil die Köchin in der Küche mürrisch herumhantierte. Alda hatte dazuzuschauen, dass die Kinder ihre Stimmen
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