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Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minelli Michele
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allein mit all diesen Kindern? Was sollte er nun tun?
    Guillerm Pujal Sobrequés tat, was er immer schon getanhatte, wenn des Lebens Stürme an seiner Tür gerüttelt hatten: Er verkroch sich in Arbeit. Den eigenen Kindern begegnete er nur noch selten, aber meist taktvoll, wie Alda bemerkte und was sie ihm und seinen Betatschungsversuchen gegenüber schon fast wieder milde stimmte. Aber nur fast. Ihr Verstand und das physiologische Wissen um den weiblichen und den männlichen Körper sagten ihr, dass Abstand zu wahren das einzig Richtige wäre. So pflegte sie also nicht mehr so lange aufzubleiben, bis der Arzt spät abends zurück ins Wohnhaus schlurfte und am Esszimmertisch Platz nahm, sondern sie beschränkte sich darauf, sich nur zu »sicheren« Zeiten in den Wohngemächern aufzuhalten und sonst in ihrer eigenen Kammer, einem Sechsquadratmeterraum mit Bett, Schrank, Stuhl und Tischlein und einem Kreuz an der Wand, zu verschwinden, sobald sie ihn nahen hörte.
    Dort schloss sie sich in ihre Gedanken ein, schrieb in ihr Heft, las darin, schnitt Texte aus Zeitungen und klebte sie ein. Ihr Heimweh wuchs in diesen Tagen, und sie ließ ihn das auch wissen.
     
    Um ihr einen Gefallen zu erweisen und in der Hoffnung, sie doch noch eine Weile an Barcelona zu binden, hatte er ihrer Bitte nachgegeben und brachte ihr nun regelmäßig die Sonntagsausgabe der Neuen Zürcher Zeitung mit nach Hause. So kam die traurige, bedrängte und sehnsuchtsgeplagte Alda zu etwas Zerstreuung, Auflockerung und: Bildung!
    Nie zuvor hatte sie in ihrer Heimat ihre Nase in eine Zeitung gesteckt, jetzt aber staunte sie, was man daraus alles an Wissen über Neuheiten, Besonderheiten und Begebenheiten ziehen konnte. Eine Frau L. Grob von der Augustinergasse 52, Ecke Kuttelgasse, pries zum Beispiel jede Art von Vorhängen an; weiße Möbel könnte man günstig an der Predigergasse 18 abholen; süße französische Trauben gäbees bei Migros und auch echten weißen Weinessig der Marke »Reala« für nur Fr. –.50 die Flasche von acht Dezilitern. Binelli & Ehrsam boten an, den »Nash« am besten bei ihnen, den langjährigen Spezialisten, reparieren zu lassen, und die Tonfilm-Revue der Kentucky-Singers lief im Apollo bereits die dritte Woche. Mit einem Male war Alda ganz in Aufregung versetzt, fühlte sich mit der Außenwelt, ihrer Heimat wieder verbunden und wurde zur fleißigsten NZZ-Leserin jener Zeit. Sie las über neue Bucherscheinungen, verschlang Fachartikel über die »Gotik Spaniens« oder das »Geheimnis Kierkegaards«, hielt sich auf dem Laufenden betreffend An- und Abwesenheiten der verschiedenen Haut-, Frauen- und Zahnärzte, die ihre diesbezüglichen Mitteilungen in großer Fettdruckschrift annoncierten. Sie sah, dass die Hungaria A.-G. an der Beatengasse die Weine Stierenblut 1925, Erlauer rot 1923 und Debroi Rizling 1925 als die Sorten des Kenners proklamierte, und lächelte über die viertelseitige groß bebilderte Affiche von Persil, der Firma Henkel & Cie. A. G. in Basel, die doch tatsächlich behauptete:
Wasser in die Limmat tragen … ist das Gleiche, wie wenn Sie zu Ihrer Wäsche außer Persil und Henco noch Zutaten wie Seife, Seifenpulver usw. verwenden.
Dabei wusste Alda, dass sie mit der guten alten Kernseife bei der Fleckenentfernung gerade so schöne Ergebnisse erzielte – und das viel billiger!
    Eine Werbung aber machte sie besonders aufmerksam. Abgebildet war eine Trommel sowie eine Schreibmaschine, und in einer nachempfundenen Schnurschrift stand da:
Das Trommelfell Ihrer Stenotypistin
– Alda hielt die Zeitung nahe vor die Augen, um den Text, der nun in kleiner Druckschrift weiterlief, ganz aufnehmen zu können –
ist empfindlich. Lassen Sie es nicht durch das Klappern der Schreibmaschine zerhämmern. Tausende amerikanischer Banken und Großfirmen haben ihre alten Schreibmaschinen gegen
Remington-Noiseless umgetauscht. Auch in der Schweiz werden immer mehr Remington-Noiseless aufgestellt. Warum? Gesundheitszustand, Arbeitsfreude und Leistungen des weiblichen Personals steigen. Wann werden Sie in Ihrem Büro nur noch die völlig lautlos schreibende REMINGTON-NOISELESS haben? Telephon Selnau 6740
– eine Schreibmaschine!
    An diesem Abend blieb Alda lange wach, und als er kam, fragte sie, ob er ihr eine Schreibmaschine besorgen könnte. Eine Remington-Noiseless, um die Kinder nicht zu stören, wenn sie abends ihre Aufsätze schrieb.
    Es verging keine Woche, da stand der gewünschte Apparat auf ihrem Tisch.
    Als

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