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Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minelli Michele
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meiner lieben Mama.
In dieses Heft nun wollte Alda selbsterfundene Geschichten und Gedichte schreiben, um es bei ihrer Rückkehr der Mutter zu schenken. Sie startete mit einer vagen Erinnerung und kleisterte daraus ein Verslein:
    Du, Sohn des großen Physikers,
    Du, Meister der Chemie,
    Hans, heißest Du, soviel ich weiß,
    in Deinen Adern Blut fließt heiß.
    Oh, Kind des ungetrügten Glaubens,
    Sieh mich nicht an so fremden Auges,
    Was ich Dir nun verkünden muss,
    Ist wahrlich eine harte Nuss:
    Ein lieblich Mädchenangesicht,
    Umrahmt von langen roten Locken,
    Tat mit seinem Blicke Dich verlocken.
    Wie schaut es träumend Dir entgegen,
    Wenn Du des Mittags von der Arbeit kommst,
    Es lächelte Dich schmeichelnd an,
    Wenn Du die Weggisgass’ hinaufgingst ihretwegen!
    Du Sohn der Hoffnung und des Glaubens,
    Sieh mich nicht an so wilden Auges,
    Was ich Dir nun verkünden muss,
    Ist wahrlich eine harte Nuss:
    Das holde Mädchenangesicht
    Mit seinen lichten, langen Locken
    Tat Dich zum Scherze nur verlocken.
    Während Alda in den ersten Wochen ihrer Dichterinnentätigkeit noch Stolz in ihrer Brust empfand, verdüsterte sich ihr Gemüt spätestens, nachdem sie das dritte Heft zurHälfte durchhatte. Sie hockte schlechtgelaunt an ihrem halbrunden Tischlein mit drei Beinen und sinnierte darüber, dass sie nie wie andere junge Mädchen einen Mann kennenlernen würde, wenn sie immerzu nur alleine mit den fremden Kindern war. Dabei wusste sie ganz genau, dass die Weltausstellung Dutzende, ja Hunderte, wenn nicht gar Tausende von Landsmännern anzog und dass sie in der Stadt ganz gewiss einmal einen getroffen hätte, der ihre Mundart sprach, und sei es nur, um im gewohnten Klang Guten Tag zu sagen.
    Es war schon lange kein Plan mehr, der Mutter diese Sprüchlein zu schenken. Das wäre ihr doch zu peinlich gewesen. Missmutig schrieb sie:
     
    Schicksal. Seit Wochen fragt ich mich wohl jeden Tag, warum mein Innres nicht wie Stein so hart. Warum, da mich doch niemand lieben mag, Gott mir ein liebedurstig, fühlend Herz mitgab.
    Warum, ich konnt es Wochen nicht verstehen und suchte stundenlang in Büchern nach. Da, auf der ersten Seite sah ich stehen, vier harte, wahre Zeichen, die ein Dichter sprach:
    Wenn je das Schicksal fluchen will,
    so gibt es immer ein Weib,
    ein Herz begehrend, tief und still,
    doch ohne Reiz an Leib.
    Der Frage Antwort hab ich nun gefunden, und der Verstand, er widerspricht ihr nicht. Doch, ach, ich kann auch so nie ganz gesunden, heißt doch mein künftig Los: Verzicht!
    Auf Deinen warmen Blick muss ich verzichten, verzichten auch auf einen Liebeskuss. Nie werde ich von Dir mit Leidenschaft umschlungen, zufrieden muss ich sein mit Deinem Gruß.
    Dich, oh Geliebter, soll dabei kein Vorwurf treffen. Bedenke: Wenn das Schicksal fluchen will! Es hat geflucht. Der
Fluch hat mich getroffen. Und erst im Grabe schweigen meine Leiden still.
     
    Mit der Zeit schrieb Alda keine Gedichte und auch keine Sprüchlein mehr. Sie begnügte sich damit, Gedichte aus Zeitungen und Zeitschriften auszuschneiden und in ihr Heft hineinzuleimen. Dabei wurde ihre Sehnsucht immer größer, wilder, verschlingender. Spanische Gedichte mit Titeln wie
»Bei dir!«
,
»Ich kann nicht!«
,
»Und doch, Geliebter!«
nahmen nun Seite für Seite ein, und Alda spürte, dass sie wie in einem Traumwandel gefangen war. Dieser Zustand ließ sie zwar die täglichen Obliegenheiten mit den fünf Kindern wie im Schlaf bestehen, sie erinnerte sich abends kaum mehr daran, was sie tagsüber mit ihnen gemacht hatte, war die Ebenmäßigkeit der Langeweile doch wie ein Sedativum, so erwachte ihre Seele, und damit ihr Wunsch, gesehen, erkannt und geliebt zu werden, jeden Abend von neuem – und das blieb leider auf den Arzt nicht ohne Wirkung. Er begann damit, ihr nachzustellen und seinem Au-pair Avancen zu machen. Zaghaft zwar, aber doch unmissverständlich.
    Guillerm Pujal Sobrequés nun war ein früh ergrauter, stattlicher Mittdreißiger, dem die Frau in den eigenen Armen gestorben war. Obwohl er sie immer dazu angehalten hatte, die Hände zu waschen und auch im Hause drinnen ein Tuch vor dem Mund zu tragen, hatte sie sich mit dem Grippevirus infiziert und war lange, lange krank gelegen und Jahre darauf an den Spätfolgen, wie Guillerm Pujal Sobregués unsinnigerweise überzeugt war und womit er jeden behelligte, elendiglich verlöscht. Was hätte er darum gegeben, wenn er mit ihr hätte sterben können, welchen Sinn hatte denn sein Leben noch, er,

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