Die Ruhelosen
hingemurmelten und von den Kindern ungeduldig abgewarteten Singsang, schöpfte Giuseppina zuerst dem Familienoberhaupt, dann den Söhnen ihrer Reihe nach auf. Zuletzt pflanzte sie auf den eigenen Teller einen Berg Polenta und grub mit dem Löffel einen kleinen See für die Sauce. Appetit hatte sie immer einen gesunden gehabt, und, so vermutete Vitale, ein gesundes Essen bringt gesunden Mut hervor, einen, der etwas aushalten kann, wenn es den Gürtel einmal enger zu schnallen gilt, einen, der langen Atem beweisen kann, der stetig ist und stetig bleibt, weil es der Mutder Anspruchslosen ist. Er hatte sich sein Nest gemacht und hätte nichts dagegen gehabt, für ewige Zeit und bis zu seinem jüngsten Tag hier zu bleiben. Er war immerhin dreiunddreißig, lange aufwärtsgehen konnte es nicht mehr, eine Weile noch geradeaus, das war alles, was er vom Leben verlangte. Und wenn ihm der Herrgott gut gesinnt war, gelänge ihm auch dies: vielleicht noch ein Zimmer mehr anzubauen oder zwei und den Stall auszubessern, so dass sie mehr als nur das mickrige Grüppchen von Schafen halten konnten und, ja, jüngere Hühner, die noch lange legten, und vielleicht doch einen zweiten Hahn, nur so zum Plausch, hui, das gäbe ein Erwachen!
Sie wohnten mit Sicht auf Bergamo Alta in einem kleinen Häuschen mit zwei Zimmern, einer Küche und einem solid gefertigten Steindach. Daneben befand sich der Schafkoben, der sechs bergamasker Hängeohrschafe, eines davon mit gefleckten Ohren, und einen weißen Bock beherbergte. Etwas hinterhalb, im Schatten des Hauses, kramten die Hühner in ihrem Schlag. Die meisten waren bereits alt und zäh, außer als Suppenhuhn nicht mehr zu gebrauchen, aber solange sie noch ab und an ein Ei legten, durften sie auch am Leben bleiben und den Boden nach Käfern aufscharren.
Vitales Schwager Alfonso, einer von Peppas Brüdern, der damals mit ihr den Weg fort von Sizilien angetreten hatte und hier, in Bergamo, geblieben war, hatte ihm heute in der Drahtzieherei von neuen Möglichkeiten oben im Norden gesprochen. Im preußischen Altena hätten sie mit der Entwicklung der Drahtzieherei gewaltige Schritte vorwärts getan, man war nicht mehr nur auf die Wasserkraft angewiesen, um die Ziehmaschinen anzutreiben, und es gäbe da sogar eigens Nähnadelfabriken, einen regelrechten Produktionskreislauf, und welch einen gewieften, wusste Alfonso zu berichten und wirkte dabei auf Vitale fast ein bisschen verschwörerisch.
»Ich werde mein Bündel nicht mit dir schnüren, Alfonso, falls du das meinst. Ich bin ein eingefleischter Bergamasker, und ich habe nicht vor, meinem Heimatland, dem Land, in dem ich das erste Mal Muttermilch getrunken habe, den Rücken zu kehren. Zumal für eine ungewisse Sache.«
»Dein Pech soll’s nicht sein, aber ich sag’s dir, Schwager, überleg es dir gut. Es können auch wieder schwierigere Zeiten auf uns zukommen, die Welt bewegt sich immer schneller, und dann hockst du plötzlich mit deiner Sippschaft hier und drehst Däumchen.«
»Wen hast du denn, der sich dafür verbürgt, dass es dort oben im Preußenland tatsächlich Arbeit gibt?«
»Diodato Virgilio ist nach dem Norden gegangen, und er ist jedenfalls nicht zurückgekehrt. Schickt seiner Mutter nun Pakete.«
»Das will nichts heißen. Diodato war schon immer ein Unspund, ein unsteter Bursche. Wer weiß, womit der seinen Lebtag fristet. Nein, nein, Alfonso, zieh dir ruhig deine Wanderschuhe an, mich lockst du damit nicht aus dem Haus. Ich habe hier doch alles, was ich will! Und wer weiß denn überhaupt, wie du auf die Wetter jenseits der Berge, im Norden, reagierst? Da ist dann plötzlich Schluss mit Sonne Tag für Tag. Man hört ja gelegentlich sogar von wetterbedingter Schwermut, die sich dort auf die Gemüter der Menschen legt und brave Familienväter und fleißige Frauen bereits in den Tod getrieben haben soll, Gott sei mit ihnen, nein, das ist mir zu ungesichert, bei so etwas mache ich nicht mit.«
»Na, was das Wetter angeht, habe ich meine Zähigkeit schon einmal unter Beweis gestellt. Oder glaubst du wirklich, das bisschen Gelb, das ihr hier oben habt, könnte sich auch nur einen Tag lang mit unserer sizilianischen Sonne messen?« Alfonso lachte.
Der Abend lief ab wie alle Jahre, er war Giuseppina und Vitale zur Tradition geworden. Nach dem Essen machte dieFrau den Abwasch, dann traten sie gemeinsam nach draußen und spazierten Hand in Hand im Abendsonnenlicht. Es war sein Tag, Vitales »Festtag«, nie würde er vergessen, wie
Weitere Kostenlose Bücher