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Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minelli Michele
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er vor zwölf Jahren die Türe zu seinem damals noch gerade ein Zimmer umfassenden Häuschen öffnete und völlig unverhofft Alfonso mit der rotbackigen Giuseppina vor sich stehen sah. Sie war gekommen, um zu bleiben. Ein solcher Tag musste geehrt werden. Mit einem gebührenden Essen und einem Spaziergang nur zu zweit. Meistens war das auch der passende Zeitpunkt, um das anzusprechen, was man das letzte Jahr über vielleicht in sich zurückgehalten hatte oder, wie in Vitales Fall, auch nur einen halben Tag.
    »Alfonso hat heute mit mir gesprochen. Er will weg, weiter hinauf in den Norden.«
    »Ah.«
    »Er meint, in Preußen gäbe es bessere Möglichkeiten, modernere Maschinen, Arbeit.«
    »So, meint er das.«
    Zwei, drei Schritte ohne Worte. Dann mit einer etwas tieferen Stimme wieder Vitale: »Er denkt nicht an die Nebel, an die dunklen Seiten.«
    Ein undefinierbarer Laut aus Giuseppinas Mund.
    Drei, vier Schritte ohne Worte.
    »Ich glaube, für uns ist das nichts, wir bleiben besser hier, oder wie siehst du das, Peppa?«
    Sie hielten bei einem mächtigen Nussbaum, der buschig grün umrankt und braun umwuchert war von allerlei Efeu-, Schling- und Kletterpflanzen. In diesem Baum erörterte allabendlich ein buntes Gemenge von Vögeln die Erlebnisse und Befindlichkeiten des Tages, so auch heute. Hier hob Giuseppina den Blick und schaute Vitale prüfend ins Gesicht. »Ecco, du bist zufrieden hier, Vitale?«
    »Ja.«
    »Dir fehlt es an nichts?«
    »Nein.«
    »Dein Nest ist also gemacht. Warum die ganze Mühe, es abzureißen und anderswo neu aufzubauen?« Dieser letzte Satz Giuseppinas war mehr eine Feststellung denn eine Frage. Und langsam, so, als ob er sich das grad eben überlegt hätte, begann Vitale in seinen offenen Hemdkragen hineinzunicken.
    Der kleine Serafino, der hinter dem Hühnerstall mit einer an ihrem Bein festgebundenen Singzikade gespielt hatte, bis er sie halb flügellahm endlich fliehen ließ, hatte das Gespräch mitangehört. Und als sein Vater im Begriff war, nach drinnen zu gehen, seinen Vorderlader zu holen, um ein paar Spatzen für die nächsten Tage zu schießen, wuchs in dem neunjährigen Kind bereits der Wunsch, in jenen unbekannten Norden zu ziehen, wohin sein Onkel ging, dorthin, wohin seit neuestem auch ganze Gruppen von Frauen zogen, weil es mehr Arbeit und mehr Leben gäbe – ein Wunsch, bald schon fixe Idee, farbenkräftige Vision, verheißungsvoll und mit einer fast mystischen Kraft nach ihm winkend.

allein
    Kassa, 1859
    František Schön brauchte diese Zeit. Er hatte um zwei Tage nur für sich gebeten, und die Gräfin hatte sie ihm widerwillig und mit der einen oder anderen unüberhörbaren Bemerkung bewilligt. Zwar war er kein Leibeigener des Schlosses Csöke, aber es wurde dennoch nicht gern gesehen, wenn der berühmteste Frisuren- und Perückenmacher nicht uneingeschränkt zur Verfügung stand. Man konnte ja nie wissen, was kam. Oder wer. Es war schon schlimm genug, dass er zweimal im Jahr auf Reisen ging, aber nu ja, irgendwoher musste er die ganzen glitzernden und fließenden Attraktivitäten ja beschaffen, ach, es war ein Kreuz mit dem Personal.
    František suchte als Erstes die Zvonárskastraße auf. Das Jiddisch, das allenthalben an sein Ohr schwappte, beruhigte ihn. Obwohl er nicht allzu viele Menschen hier mit Namen kannte, waren ihm ihre Gewohnheiten, ihr Sprechtempo, ja sogar ihre Mimik und Gestik im Innersten vertraut. Er hielt nach dem Rabbi Ausschau, halbherzig, denn eigentlich wusste er es besser, dass er den Rabbi am ehesten bei sich zu Hause antreffen würde und nicht müßiggehend auf offener Straße. Als Nächstes schlug er den Weg zum Friedhof ein. Dazu musste er die Stadt durchqueren. Es war Markt, das arhythmische Geschnarre und Geschnatter der Magyaren drang aus einem Haus zu ihm herüber, aus einer Kutsche grüßte lässig eine Dame mit der Hand. Zigeuner lungerten um die Stände herum, besprachen sich über irgendein Geschäft, wogen ab, blieben dann aber doch untätig und mithängenden Armen aneinandergelehnt stehen. Jede Minderheit in diesem Vielvölkerstaat referierte, parlierte, schwadronierte im eigenen Idiom, Polnisch, Tschechisch, Kroatisch, Deutsch, Slowakisch, Ruthenisch, Rumänisch, Serbisch, Armenisch, Griechisch und natürlich Ungarisch, es war gut, dass František bei seinem Vater noch das Ungarische hatte erlernen können, so waren ihm doch ganze vier Sprachen vertraut: Jiddisch, Slowakisch, Ungarisch und etwas Deutsch.
    Er schlenderte seinen

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