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Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minelli Michele
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Tranchen auf seinem Teller und überlegte: Wenn das ein normales Mittagessen war, was wird uns erst zum Galadiner erwarten?
    Er war unterwegs nach Puerto Rico. Die zweite Saison, die er nach seinem etwas unschönen Abgang im Unterhaltungsorchester Beromünster wegen eines Herzinfarkts, endlosen Spitalaufenthalten und darauffolgenden Tagen tiefster Sorge und Ratlosigkeit, der mageren Engagements in mittelprächtigen Unternehmen nun erneut »in Amerika«, wie er es nannte, spielen sollte.
    Ihn erwartete das Swiss Chalet in San Juan, und jeden Sonntag eine eigene Radioshow. Von 13 bis 14 Uhr würde er wieder zusammen mit einem kleinen Mann namens Vic vor einem Mischpult mit zwei Plattentellern und einem Mikrofon im Studio sitzen. Sein größter Hit bislang war esgewesen, als er dem Radiopublikum den »Swiss Jodel« beizubringen versucht hatte. In einzelne kurze Lektionen aufgestückelt, führte er sie mit seinem französisch angehauchten Englisch von
jololo
zu
duali
und verband das Ganze hernach zu einem:
jololoduali
. Ein Renner, der in der Vorjahressaison die Straßen San Juans auf und ab gesungen wurde.
    Abel saß am Tisch und kaute an einer Räucherzunge herum. In seinem inneren Ohr hörte er sie schon, die Ankündigung, die seiner Show jeweils vorausgehen würde: »This is Radio WHOA 1400 on your dial, your English language station in San Juan. Please welcome now: Abel Ditrich.«
    Und er würde wie gewohnt auf Französisch einsetzen, im Hintergrund eine verzuckerte Violinenmelodie ab Vinyl, und mit einem charismatisch hingehauchten
Bonjour, quel beau dimanche
, hätte er seine Hörerinnen und Hörer wieder sicher in der Hand.
    Er liebte diese Show. Er liebte es, zusammen mit seinem Radiopartner Vic die einzelnen Stücke anzusagen, liebte es, wie sich Vic über seinen Moustache mokierte, sein zigeunerhaftes Aussehen, und wie er sein Frotzeln geschickt mit einer Sehnsucht verband, die offenbar alle Insulaner verspürten, der Sehnsucht nach der Reise, nach der Ferne, einem anderen Dasein jenseits der Wellen. Selbst die Werbeansagen, die sie unterbringen mussten, gaben Anlass für Schabernack. Abel konnte meisterhaft einen Fiatmotor imitieren, und Vic lachte ihn dabei aus und korrigierte, dass der neue Fiat beinahe geräuschlos, auf jeden Fall aber äußerst angenehm im Klang sei, gewissermaßen ein Präzisionsinstrument, und beide mussten sie losprusten vor lauter aufgestautem Lachen. Eine Nummer, auf deren Wiederholung Fiat bestand. Für den 500er, den 600er, den 1100er den 1200er, 1800er – für all die sagenhaft guten Modelle, denn:
Es gibt so viele Modelle von Fiat,
für Business, für Pleasure oder selbst als Zweitwagen. Fiat hat alles und für jeden Gebrauch.
    Und so weiter und so fort, bis ihn Abel unterbrach und auf Französisch sagte, jetzt sei es genug, er wolle nun zurück zu seiner Musik. »… pour mon plaisir, and I hope for your pleasure, too. I put in the record machine the most beautiful Viennaise Waltz from Johann Strauß, the Emperor Waltz«, kauderwelschte er sich in jedes amerikanische Herz hinein.
    Abel lächelte. Er war froh, dass er diesmal nicht alleine reiste. Mit ihm kamen ein Klarinettist sowie ein Saxophonist, die er aus seiner Spielzeit im Zürcher Hotel Baur au Lac kannte. Zusammen vertrieben sie sich die Zeit der Überfahrt mit Tischtennisturnieren, Üben und Flanieren. Ab und zu fotografierten sie sich auf Deck beim Liegen, Lesen, Lachen und Spazieren. Abel hatte sich einen breiten, gezwirbelten Schnauzbart wachsen lassen, als die ersten Haare auf seinem Kopf auszufallen begannen. Er achtete penibel darauf, dass er stets gut gelaunt in die Kamera blickte; diese Bilder wollte er allesamt seiner Chérie, seiner petite femme, seiner Mondaine, schicken. Jeden Tag schrieb er ihr einen Brief oder eine Karte. Manchmal sogar zwei.
    Die Briefe gab er später in San Juan auf, und als er einmal nach New York eingeladen war, tütete er sogar zwei kleine Fotografien mit ein, die ihn auf dem Bildschirm eines Fernsehapparates zeigten.
    Auch dieses Jahr würde er wieder, sobald er in San Juan angekommen wäre, seiner Frau ein Radiogramm nach der Wildbachstraße 39 in Zürich, Schweiz, schicken.
BIEN ARRIVE GROS BECS = ABEL.
    Um die fugenlose Nähe zu Mondaine auch auf große Distanz spüren zu können, musste sich Abel konstant mit Gedanken an seine Frau umgeben. Er dachte an sie, wie sie ihr Negligé trug, er dachte an sie in ihrem Winterkleid, er dachte an sie im Seebad, und er dachte an sie im

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