Die Ruhelosen
ist ein durchwegs ehrenwerter Beruf. Und als wir in Basel wohnten, war Abel sogar Konzertmeister des Unterhaltungsorchesters Radio Beromünster. Und eine Karriere in Amerika hat er auch gemacht.«
»Beromünster! In welcher Zeit war denn das?«
»1946 und viele Jahre noch!«
»Da muss ich ihn wohl auch gehört haben. Aber kommen Sie doch bitte herein. Wir wollen uns in Ruhe unterhalten.«
Nunzio Amadeo hatte dann der kleinen Familie erst einmal Apfelsaft eingeschenkt, jedem ein Glas voll. Für Emma steckte er einen spiralfarbigen Trinkhalm ins Glas. Nur er war zu Hause, er und seine kleine Schwester Silvia,ein Nesthäkchen von sechs Jahren, das die Mutter verschwiegen hatte, als es ihr im Bauch heranwuchs, solange sie konnte, weil sie es behalten wollte, auch mit damals sechsundvierzig Jahren gerne noch einmal Mutter werden wollte. Silvia saß auf dem glänzend geölten Parkett und ließ Kugeln über eine Bahn laufen.
Die drei tranken stumm. Dann sagte der Musiker mit stolzgeschwellter Brust: »Ma fille, sie hat sogar schon zwei Platten aufgenommen. Tolle Chansons, Hits, dis-lui!« Das Kind, Emma mit Namen, öffnete nun zum ersten Mal die spitzen Lippen, zeigte seine schmalen Zähne und sagte brav: »
Papa liebt nur Mama
und
Genug
.«
Da erklang ein helles, hohes, ein stirnhohes Lachen, fast ein bisschen mädchenhaft, und Nunzio Amadeos Wangen wurden rot vor Belustigung: »Du singst
Genug
?«
»Haben Sie es im Radio spielen gehört?«
»Nein, das hab ich in der Tat noch nie gehört, wie ein Mädchen wie du ein Lied namens
Genug
singt! Zu komisch!«
»Ich habe auch
Tween Twist
aufgenommen und
Mein kleiner Wecker
.«
»Was du nicht sagst! Das ist mir ja eine schöne Familie!«
Und bevor sie noch mehr Schaden anrichten konnte, fädelte nun die Madame wieder ein: »Wir können Ihnen auch Aufnahmen von Abel Ditrich besorgen, vom Rudi-von-Felsberg-Unterhaltungsorchester, von Felsberg, einem über alle Grenzen hinaus bekannten Dirigenten, überlegen Sie einmal, eine Berühmtheit, nicht wahr?«
Nunzio Amadeo musste nicht mehr überlegen, sein Entschluss war schon lange gefasst. Ob diese da Zigeuner waren, wie seine Mutter unkte, oder jüdisch versippt, wie der eine oder andere Dörfler hinter seinem Bierhumpen munkelte, war ihm schnuppe. Wie schön würde es sein, nur siebzehn Buchenholzstufen weiter oben diese Paradiesvogelfamilie nisten zu wissen. Lauschen zu dürfen, wenn derMusiker mit geschmeidigem Strich über seine Violine fuhr, hinsehen zu dürfen, wenn diese klasse Frau in immer wieder neuen Kostümen durch das Treppenhaus wandelte, lachen zu dürfen ob der unkontrollierten Kontrollversuche dieses jungen, drahtigen Mädchens, das nur einen Stuhl von ihm entfernt ihre Füße hinter die Stuhlbeine schob und hellhörig am Trinkhalm nuckelte.
das ist ein gnädiger Tod, der alle Spuren verwischt
Gstaad, 1964
Endlich hatte er die Spur zu seiner Mutter gefunden, endlich war ihm bekannt, wo sie all die Jahre gewohnt hatte, und nun lag sie im Sterben. Gabriel Amiel saß im Zug, der ihn nach Gstaad führen sollte, ans Sterbebett seiner Mutter Josiane, einer Frau, die er nie gekannt hatte. Er hatte sich dazu extra das üppig geblümte Calypso-Hemd angezogen, das ihm sein Vater vor Jahren aus Puerto Rico geschickt hatte. Es passte noch, aus dem Jungen Gabriel war nur ein schmaler Mann geworden.
Wie man wohl die Prozedur gestalten sollte, wenn sie wirklich stirbt? Ob ich mitzureden habe? Sie ist ja protestantisch.
Als die Frage bei der Bauernfamilie Blanc damals aufgekommen war, wie man mit dem Pflegekind Gabriel denn in religiöser Hinsicht umzugehen habe, hatte sein Vater, Abel Israël, geantwortet: »Nun, ich bin Jude, und die Kindsmutter, Josiane, ist protestantisch.«
Der Pflegevater, ein einfacher, im Boden fest verwurzelter Bauer aus der Glâne, hatte eine Weile hin und her überlegt und sich danach ausgiebig mit dem Pfarrer beraten. Dieser hatte schließlich gesagt: Schau, hier bei uns im Ort gibt es weder eine Synagoge noch eine protestantische Kirche. Eh bien, am besten wird es also sein, du machst einen anständigen Katholiken aus dem Kind.
Er hatte eine gute Kindheit verbracht, man hatte ihn aufgenommen im Hause Blanc und unter die Fittiche. Manhatte ihn gehegt und gepflegt und geliebt wie einen eigenen Sohn. Außer dass er einen anderen Nachnamen trug, erinnerte nichts daran, dass es nicht immer so hätte gewesen sein können.
Man sah ihm nicht an, dass er einst im Weidekörbchen an die
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