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Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minelli Michele
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Strampler – alles für das Kind.
    Und für sie? An sie dachte keiner. So lautete die Spielregel. Sie würde ihre Rolle als Mutter perfekt spielen müssen, wenn niemand ahnen sollte, wie es tatsächlich in ihr war. Wie allein sie sich fühlte, seit ihr Mann und sie in ein neues Einfamilienhaus auf die Forch gezogen waren. Wie einsam ohne die Eltern in ihrer unmittelbaren Nähe. Tür an Tür. Wieder einmal umgezogen und der Obhut eines anderen überlassen. Wie einsam auch und verloren ohne das Lob und den vertrauten Tadel der beiden. Auf der Forch dämmerte ihr, dass die vergangenen drei Jahre wirklich stattgefunden hatten, dass sie real gewesen waren, kein Traum, den sie abschütteln konnte, kein Spiel auf Probe, alles echt. Der Mann, der im Untergeschoss seine Reportagen schrieb, Lorine, die durch die Zimmer fegte, und sie, die Mutter, die das Ganze in ihrer Frauenrolle doch irgendwie zusammenhalten sollte. Gottfroh war sie, dass sie ab und an noch im Theater Kaufleuten aushelfen konnte. Gottfroh, dass ihre Mutter, die sich neuerdings mit Omama ansprechen ließ und noch immer gleich blendend wie vor fünf oder zehn Jahren aussah, genauso strahlend und alle Welt für sich einnehmend, auch von Männedorf herauffuhr, um ihr im Haushalt zu helfen. Oder mit den Bigoudis, der Trockenhaube, diesem ganzen Zeugs, damit auch sie, Emma, wenigstens einigermaßen eine Gattung machte.
    Was, wenn dieses Mädchen da drüben ihre störrischen Haare geerbt hätte?
    Müsste sie dann …? Nicht auszudenken. Ihr scheren wir die Haare kurz. Obwohl, heutzutage tragen ja alle Frauenwieder langes Haar. Mit Margeriten hineingesteckt und wehenden bunten Bändern … ach, herrje.
    Als es an ihre Tür klopfte, hörte es Emma zuerst nicht. Erst als er auf leisen Sohlen in ihr Zimmer trat, sah sie Nunzio. Er schien müde, abgearbeitet, aber auch von diesem ganz bestimmten Eifer getrieben, der immer dann auf seiner Stirn glänzte, wenn ihm wieder ein großer Coup gelungen war. Seine Kleider, die ewig braunen Kordhosen, das glanzlose Nylonhemd, die blonden Strähnen viel zu lang, bis in die hellblauen Augen hineinkitzelnd, sein Gesicht, ein scheues, unsicheres Lächeln, und in seiner rechten Hand hielt er einen Strauß voll Rosen. »Es sind vierundzwanzig, Emma. Zweiundzwanzig für dich und je eine für jedes Kind.«
    Emmas Blick verschleierte sich. Durch einen Wasserfall von Tränen sah sie einen Busch roter Rosen und zwei Punkte, die hellrosa zart daraus hervorfunkten. Unwillkürlich musste sie an die Glühlampe denken, die verlässlich die Ankunft eines neuen Telex ankündigte. Was kündigten ihr diese beiden hellen Punkte an?
    Nunzio setzte sich zu ihr auf den Bettrand. Ungeschickterweise klemmte er ihr dabei einen Arm ein, was einen kleinen Lärm verursachte. Emma hatte kurz, aber heftig
gopf!
geflucht, und eine Zeitschrift war auf den Boden gefallen. Erschrocken schauten beide zu dem schlafenden Kind. Es nuckelte an einem unsichtbaren Gegenstand, es träumte. Von draußen klang Vogelgezwitscher herein.
    »So ein herziges Mädchen.«
    »Findest du?«, jammerte Emma schluchzend.
    »Natürlich!«
    »Sie sieht aber ganz anders aus als Lorine.«
    Nunzio runzelte die Stirn. Daraufhin sprudelte es aus Emma heraus: »Lorine ist doch wie eine Babygiraffe mit ihren viel zu langen Gliedern! Lorine wird bestimmt einmaleins achtzig, Modelmaße und alles dürr wie diese Twiggy! Aber sie hier«, und sie blickte tangential zu ihrer zweiten Tochter im Rollwägelchen hinüber, »hat doch eher etwas von einem Büffel. So gedrungen, alles so eng an ihr, so geballt, sieh nur, wie sie die Händchen hält und mit dem Gesicht einen Knautsch macht.«
    Nunzio überlegte einen Augenblick. Dann nahm er seine Frau in den Arm und hielt sie lange fest. Sie weinte.
    »Du bist erschöpft, Emma. Lass dir alle Zeit der Welt. Mondaine schaut zu Hause schon nach dem Rechten. Du kannst hierbleiben, solange du willst. Erhol dich, dann wird dir wieder leicht ums Herz.«
    Emma verschluckte sich und heulte noch mehr. Ihr Rücken zitterte.
    »Was du hast, das nennt sich postnatale Depression. Das verläuft sich wieder, das geht wieder weg, Emma. Lass jetzt einfach los. Du musst dich um nichts kümmern, ich spreche mit den Schwestern.«
    Als er aufstehen wollte, hielt sie ihn am Ärmel zurück. »Ich weiß nicht, ob es nur das ist, Nunzio. Ich habe mir so vieles überlegt die letzten vier Tage, als ich hier lag und auf die Geburt wartete.«
    »Wie meinst du das?«
    »Ich möchte, dass

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