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Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minelli Michele
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Schwarzenbach fürchtet neuerdings um den Ruf der Alpenrepublik: »Die jährliche Ausweisung von 180   000 Ausländern«, erklärte er im Berner Nationalrat, »droht uns in die Nachbarschaft eines Idi Amin zu bringen.«
     
    Emma legte das letzte Blatt zurück auf den Stapel. Vor dem Fenster flog eine Amsel vorbei, die einen Wurm im Schnabel hielt. Die Sonne schien. Aus dem oberen Stockwerk vernahm sie noch immer ein regelmäßiges
Rrrrrr-rrrrr
, das in einem abschließenden
Kling!
endete.

Teleboy und Omnibus
    Regensdorf, 1978
    Wie die beiden Kinder, Lorine und Aude, zusammen mit Omama Mondaine es geschafft hatten, den Fernseher in den kleinen roten DAF 33 zu bugsieren, grenzte an ein Wunder. Opapa Abel war zwar zur Ansicht gelangt, dem Hause Senigaglia stünde nun endlich auch ein Farbfernseher an, und hatte seiner Tochter zur Feier des 13. Hochzeitstages einen neuen Wega Color 3052 gekauft, aber die Fahrt von Regensdorf, wo die beiden Engagement-Nomaden mittlerweile ihren neuen Wohnsitz bezogen hatten, auf die Forch hatte er dann doch seiner Frau, den Mädchen, die auf Besuch waren, und dem niederländischen Kleinwagen überlassen. Er musste noch proben, komponieren, Arrangements auf Revox-Bänder aufzeichnen oder sich mit einem Verkäufer des Zürcher Musikhauses Jecklin privat treffen und über neueste Erkenntnisse der Instrumentenpflege austauschen, was wusste sie. Abel war auf jeden Fall nicht zu haben, und Mondaine schaffte es auch alleine.
    »Ihr werdet sehen, damit sieht der Teleboy wie neu aus!«
    »Wieso?«
    »Du siehst die Kleider, die Farben der Stoffe und überhaupt sieht alles viel präziser aus. Und wenn die Kamera nahe genug heranfährt, dann siehst du sogar, ob jemand ein weißes Haar im blonden Schopf verbirgt. Denkt doch nur, Lassie, Bonanza und was ihr alles schaut – das gibt es für euch ab jetzt in Farbe!«
    »Die Balken?«
    »Die Farbbalken sowieso! Und am nächsten Samstagabend wie gesagt der Teleboy.«
    Der Teleboy war eine Unterhaltungsschau im Schweizer Fernsehen. Showblöcke unterteilten die Quizsequenzen, bei denen zwei gegnerische Ehepaare abwechselnd Fragen beantworten mussten, die den Alltag in der Schweiz zum Thema hatten. Wer den Teleboy schaute, konnte am nächsten Tag mitreden. Ein- oder zweimal bestritt auch Abel Ditrich als Violinist in der Sendung unter dem Motto Nostalgie einen Auftritt und wurde mit einem ganz ordentlichen Applaus aus den Studiopublikumsreihen gewürdigt. Maskottchen der Sendung war ein überdimensionales Stehaufmännchen, der Teleboy, und damit symbolische Insignie des tapferen Schweizers, den nichts so schnell aus den Socken haut.
    Der große Clou der Show aber waren eindeutig die Einspielungen der versteckten Kamera. Kurt Felix, Moderator, ließ ahnungslose Bürgerinnen und Bürger besonderen Situationen auf den Leim kriechen und filmte sie dabei. Oft gaben diese Sequenzen nicht nur Anlass zu Gelächter, sondern auch zu tagelangen Stammtischgesprächen. Am höchsten schlugen die Wogen, als Kurt Felix das Seeungeheuer
Urnie
kreierte und es an einem Stahlseil mittels Fernsteuerung tagelang durch den Urnersee ziehen und durch Lautsprecher ganz fürchterlich brüllen ließ … überhaupt bot die Fernsteuertechnik Möglichkeit zu allerlei Unfug, der zu Situationen führte, über die man sich in gewohnter Regelmäßigkeit vor lauter Lachen ausschütteln konnte. Omama war ganz begeistert davon und am meisten über den Jux, den sich Kurt Felix mit ahnungslosen Hilfsbereiten erlaubt hatte, denen er eine Fernbedienung für ein Modellflugzeug in die Hand gedrückt und gesagt hatte, er müsse nur mal kurz, woraufhin er dann auf unbestimmt verschwand. Flog das Flugzeug zuerst noch braveKreise hoch oben am Himmel, setzte es bald schon zu Loopings und Attacken an. Die entsetzten Helferinnen und Helfer versuchten natürlich ihr Bestes, das Flugobjekt auf Distanz zu halten, derweil ein wie zufällig hinzugetretener Passant blöde Fragen stellte oder – typisch Schweiz – trockene Kommentare von sich gab. Vor den Augen der Ahnungslosen versteckt, wurde das Flugzeug durch eine andere Person mittels intakter Fernbedienung gezielt gelenkt.
    Der Spruch eines älteren Schweizers mit Sommerhut, der in steigender Verzweiflung immer wieder »Söll emal cho!« über seine Schulter rief, wurde zum Bonmot des ganzen Sommers; man hörte es zu Berg und zu Tal, von Groß und von Klein und in jeder passenden und unpassenden Situation exklamiert: Söll emal cho.
    So rief auch Omama

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