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Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minelli Michele
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erwiesen werden konnte. Aber das Wetter spielte nicht mit. Die Hitze schwoll bereits am ersten Tag der Aufbahrung dermaßen an, dass Vitale zu riechen begann und sich die Nachbarn und Verwandten sputen mussten mit ihrem Kondolenzbesuch bei der Familie. Dann lag er unter der Erde. Vereint mit seinen beiden Erstgeborenen, Vitale junior und Maria Giuseppa, gebettet auf Leinen, eingeschlossen in einfachem Fichtenholz, zugeschüttet vom fruchtbaren Humus Bergamos wie eine anachronistische Saat, eine Gabe an die Erde, die von dieser nie mehr zurückgegeben würde und deren Früchte für Giuseppina niemals mehr erreichbar wären, zumindest nicht bis zum Tage ihres eigenen Hinscheidens, und damit keine wirkliche Option, wenigstens jetzt nicht, solange vier ihrer Kinder noch klein waren und sie brauchten.

rotweiß gescheckt
    unterwegs, 1860
    Den größten Teil des Gepäcks machten Františeks Koffer und Kisten aus. Der Kutscher hatte nichts gesagt und Alžbeta nichts geantwortet. Die Abstandssumme zwischen Brust und Kleid gepresst, ein Mieder wäre ihres fortgeschrittenen Zustandes wegen ohnehin nicht denkbar gewesen, war sie tapfer noch einmal von Zimmer zu Zimmer durch das ganze Schloss gegangen und dann, ohne einmal zurückzuschauen an Frantas galanter Hand in die Kutsche gestiegen. Ihren Heimatboden, Kassa und die umgebenden Ländereien, würde sie nie wiedersehen. Mit einem Lächeln, das František nicht deuten konnte, hielt sie ihr Gesicht ans Fenster. Sie blickte allem zum letzten Mal nach: den weichen grünen Hügeln, die in andere weiche grüne Hügel flossen, den Feldern mit Korn und Blumen, soweit das Auge reichte, dem hoch aufgeschossenen weißen Kerbel, dem ruhigen Lauf des Flusses. Aber Alžbeta lächelte.
    Nie wieder würde sie die vertrauten vollen Klänge der Glocke des Alžbety-Doms hören, nie wieder die schmucken zwei- und dreistöckigen Häuser von Kassa in ihren pastellenen Farben bewundern können. Das alles würde sie nun Radumdrehung für Radumdrehung hinter sich lassen. Aber sie lächelte.
    Einen Tag vor dem Aufbruch hatte Alžbeta noch darum gebeten, ihr Pferd mitnehmen zu dürfen, aber die Mutter hatte das kategorisch abgelehnt, und František fand diese Idee leider auch eher unpraktisch. Alžbeta hatte den Entscheid mit größter Fassung getragen, nur als sie in denStallungen an ihrem rotglänzenden Lipizzanerfuchs vorbeikam, der ihr mit seinem treuen Karstergemüt so viele glückliche freie Stunden beschert hatte, hatte sie laut aufgeschluchzt und war dem ungarischen Stallburschen, der noch ein, zwei Worte des Trostes zu ihr sagen wollte, brüsk davongerannt.
    Sie erinnerte sich daran – und lächelte.
    Sie kamen an einer Begräbnisprozession vorbei, auf ihrem Weg vors Dorf zum Friedhof, die Frauen in dunklen Kopftüchern, ein gutes Omen, befand Alžbeta, immer noch lächelnd, beide Hände auf den Bauch gepresst.
    Alžbeta sah all die bekannten Herrenhäuser und Schlösser, die mit ihren Türmen und Erkern, ihren Chinaschirmdächern, warm in grüne Tannen eingemümmelt, Hügelspitzen beflaggten. Alžbeta lächelte. Und lächelte.
    Dann kam eine weite Wiese mit einzelnen Sonnenblumentupfern drin, dann Röhricht, hoher Röhricht und Störche in den Feldern, wohin man sah. Alžbeta erinnerte sich an ihre Zeit als Kind, als junges Mädchen mit staksigen Storchenbeinen, immer irgendwo draußen, immer irgendwo in der Wildnis auf Abenteuerpfaden unterwegs, das Gesicht und die Hände beständig angeschmutzt zum ewigen Ärger ihrer Zofe, die man ihr schon ganz jung zur Seite gestellt hatte. Woher war sie noch mal gekommen? Sie hatte so lustig dahergeredet. Ja, richtig, aus Trakai stammte sie, sprach die karaimische Sprache und sang unverständliche Lieder, wenn sie sich alleine glaubte. Alžbeta summte, und sie lächelte.
    Ein Schwarm Vögel wogte über den Himmel wie eine gepunktete Beteuerung des Glücks. »Schau, Franta, schnell, das ist ein gutes, ein wirklich gutes Omen!«, und eine übermütige Alžbeta forderte ihn mit ihrem Lächeln zum Lächeln auf.
    Sie schaute still und versonnen den Wäldern nach, denWiesen und den Feldern. Eine rotweiß gescheckte Katze verschwand zwischen ausgebleichten Halmen. »Ein gutes, ein sehr sehr gutes Omen«, hörte František seine Geliebte murmeln. »Weißt du, es sind nicht nur die Erfolge, die einen Menschen wachsen lassen. Gerade die Schwierigkeiten führen uns zu unserer wahren Größe.« Wo seine Wunderbare solch philosophischen Gedanken herhatte, war ihm

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