Die Ruhelosen
Mandelaugen glitzerten meerblau, sehnsuchtsblau – welche Edelsteine hatten noch einmal genau diese Farbe? Er vermochte es nicht zu sagen, aber er würde sich entscheiden müssen, das wusste er. Ihr Vater, Italo Polacco, vertraute ihm seine Tochter nicht einfach so an. Der Tag, der die Entscheidung mit sich brächte, konnte so fern nicht mehr sein.
»Die Menschen der vergangenen Epochen, Elia Primo! Hörst du mir denn überhaupt zu? Du bist mir ein lustiger Kavalier, führst mich junge Dame aus und bist in Gedanken doch ganz woanders!«
Als Bier und Brioche und auch die letzte Böe Geschichte waren, brachen sie auf. Wie immer schlüpfte Abelarda mit ihrer schmalen Hand in die seine und drückte ihren Körper an seine Seite. Seinen schnellen Gang musste er etwas zügeln, damit sie Schritt mit ihm halten konnte.
Geschäftig, tüchtig, agil, man will es ja zu etwas bringen, so hatte sie ihn kennengelernt und war seither bemüht mitzukommen. Sie gab sich schon recht vertraut mit ihm, seit bald einem Jahr begegneten sie sich öfter, gezielter, siewusste um seinen Ehrgeiz, spürte seine Träume, die alle von Größe und Reichtum sprachen. Sie hätte seinen Schritt, so glaubte sie, unter Hunderten heraushören können, auf möglichst wenig Reibungsverlust aus. Sie durchschaute seine, wie sie fand, humoreske, aber stets knappe, aufs Wesentliche beschränkte Geschäftigkeit, spürte seine Dünnhäutigkeit, die er vor den Compagnons zu überspielen versuchte. Sie hatte seine einzelnen Charakterzüge und Wesenseigenheiten akkurat gesammelt und in ihrem Innern abgelegt. Oft lächelte sie im Stillen mit dem Hochmut der Jugend über ihn, wie über ein Spielzeug, das man bei einer Auktion in Händen dreht, dessen Mechanismus man noch nicht ganz zu begreifen gelernt hat, als dessen legitimen Eigentümer man sich aber dennoch schon weiß, bevor die Versteigerung überhaupt begonnen hat.
Es roch frisch, es roch nach Meer, das Unwetter hatte die Luft über Triest wie ausgetauscht. Die Frische fegte durch ihr Gehirn, sie überlegte sich schon wieder murmelnd neue Pläne für zufällige Ersatz-Begegnungen, betrieb ihre kabbalistische Rendezvous-Buchhaltung im Kopf; die Frische fegte durch sein Gehirn, und er überlegte sich einmal mehr, wie er es schaffen könnte, von Opicina wegzukommen und endlich in Hafennähe eine kleine Dependance zu eröffnen. Sein Hauptsitz war in Fiume. Aber wenn er seine Geschäfte in Triest tätigte, wohnte er bei Bekannten am Rande des Karstplateaus in Opicina, in einem einzelnen Zimmer, das gegen einen hundbewehrten Hühnerhof hinausging. Vollkommen unmöglich, von hier oben zu geschäften. »Ich kann nicht immer so weit herkommen und unten ganz verschwitzt anlangen«, hatte er Abelarda kürzlich vorgejammert, im kläglichen Versuch, etwas zu manipulieren, was er vielleicht, hätte er ihren Vater, Italo Polacco, direkt zu fragen gewagt, auch frank und frei hätte haben können.
Aber Abelarda hatte die bittende Note in seinem Klageliedüberhört und sang die Melodie bereits auf ihre Weise weiter: »Dafür hast du uns Gelegenheiten geschaffen, bei denen wir uns auch noch hätten begegnen können! Beim Obelisken von Opicina findest du mich ja fast täglich sitzen, da ruhe ich mich aus und komme zu neuem Atem, wenn ich mit Mutter zusammen spazieren gehe!«
Abelarda hatte ihn einmal zufällig, wirklich, ganz ohne ihr eigenes Zutun, in Triest getroffen, als sie mit ihrer Mutter beim Schneider über ein neues Abendkleid referierte und Elia Primo verärgert über sein schweißnasses Hemd hilfesuchend eingetreten war. All der Talkpuder, mit dem er sich unter den Achseln einpulverte, nützte nichts, Elia Primo hatte ein Schweißdrüsenproblem, und zwar, wie er fand, ein massives. Völlig überrumpelt von der Anwesenheit der Polacco-Frauen starrte er sie böse an und kam sich so vor, als bestünde er nur aus Armen und Schweißflecken. Die kleine Abelarda hatte sich geschickt am Schneider vorbeimanövriert und hatte ihm ihr Händchen mit einem artigen Knicks gereicht. Wie ein rolliges Kätzchen war sie um den erwachsenen Mann herumgeschnurrt, sog seinen Geruch in sich auf und war ganz erfüllt von einer vorfreudigen Ahnung, über die, hätte ihre Mutter davon Wind bekommen, diese nur laut hätte aufschreien können.
Elia Primo versuchte so gut wie möglich Haltung zu wahren und bedeutete dem aufmerksamen Schneider, ihm ein neues Hemd mit Fischgratkragen zu bringen. Das Geld, das er dafür hatte hergeben müssen,
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