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Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minelli Michele
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Rohheit, ihre Süße, ihr eigenes junges Verlangen, als sie ihn zurückbiss, ungestüm ihn wirklich in die Lippen biss, bis aus seinem Mundwinkel Blut tropfte. Er drückte sie härter an sich heran.
    Und ah, sie wünschte sich, ihr ganzer Körper könnte in diese löcherige Strumpfseide eingewickelt sein, nur um sich überall von ihm berühren und erhitzen zu lassen!
    Elia Primo seinerseits wünschte sich mittlerweile gar nichts mehr, er war in einem Reich fern der Wünsche angelangt, und wie von Sinnen tastete er sich durch ihre Stoffe hindurch, zog da und zerrte dort, riss, wo er nicht mehr weiterkam, war nicht mehr Mensch und nicht mehr Mann, war nur noch Woge und Gefühl, ein Wellenschlag, der seinen unberührten Körper gewaltsam an ihre Ufer schmetterte. Er klammerte sich an ihr fest wie ein Ertrinkender. Unerbittlich kreiste er sie mit Händen und Beinen ein. Er berührte sie überall da, wo er hingelangen konnte, und tastete sich weiter vor. Ihre Brüste waren kleiner, als er erwartet hatte, sie musste sich das Korsett mit irgendetwas aufgepolstert haben. Macht nichts. Seine Hände fanden dennoch Halt, und es fühlte sich warm und wohlig an, so ungekannt zu Hause, bei ihr, dieser Kindfrau, äolische Klänge schmetterten durch die Luft, und sie wanderten über ihre weichen Knospen und Hügel, die Sonnenbahnen entlang und die Früchte, die Berge und Täler, besonders innig bei dem einen kleinen Hügelchen, dieser umwucherten weichen Wölbung, die tauig feucht war wie das Gestrüpp entlang des Spazierweges, der zum Obelisken von Opicina führte, an einem dunstigen Sommermorgen, undauch jetzt geriet er wieder heftig ins Schwitzen, war ganz und gar durchnässt.
    Ihr Haar war zerzaust und ihre Strümpfe zerschlissen, als die beiden endlich wieder voneinander ließen und sich aus dem Dunkel der Gasse schälten. Die Nacht war längst schon nicht mehr für Menschen gedacht, die unzähligen Katzen, die in Pärchen und kleinen Gruppen aus allen Winkeln und Ecken auftauchten, reklamierten ihr Territorium unerbittlich für sich selbst. Sie hatte etwas gesagt, irgendwann, als die Hitze zwischen ihnen den Spiegel der Nacht beschlagen hatte, es war die Stimme einer Erwachsenen, mit der sie da plötzlich zu sprechen angefangen hatte und deren Vibrieren er noch in seinem Ohr hatte, wie es das Äolenkonzert durchschnitt, sie hatte gesagt: »Niemand. Nicht so wie wir. Nicht so wie du und ich grad eben. So etwas können nur wir erleben, so fühlt sonst keiner, Elia, und wenn ich sonst nichts weiß: Das weiß ich bestimmt.«
    Ohne zu antworten, ohne ein Wort über das zu verlieren, was heute Nacht mit ihnen geschehen war oder was sie getan hatten, führte er sie am Ellenbogen geradewegs zu ihr nach Hause. Morgen würde er um ihre Hand anhalten müssen, so viel stand fest.
    Ihr Elternhaus war bereits dunkel, nur aus der Bibliothek drang ein fahles Licht. Der Bedienstete würde gleich die Türe öffnen und Abelarda einlassen, auf dass sie katzengleich in die obere Etage entschwinden könnte, in ihr Zimmer. Elia stand steif da und wartete.
    Noch einmal drehte sie sich zu dem großgewachsenen schönen Mann um, dem schönsten, den es für sie je geben konnte überhaupt, stand auf den Zehenspitzen und biss ihm in den Mundwinkel, sog an seinem Blut. Dann entwand sie sich ihm und glitt durch die Türe, noch bevor diese ganz geöffnet war.

Wunsch und Wirklichkeit
    Ödenburg, 1887
    Alžbeta hatte die dunkelroten Vorhänge in der Mitte zusammengeknotet, auf dass die frische Luft durch die geöffneten Fenster hereinströmen konnte. Von den Gassen vernahm man die vertrauten Geräusche der Pferdehufe, die auf den Boden klopften, hie und da einen Magyaren, der eines mit einem luftigen Peitschenknall antrieb, und die ungarischen Frauen, die so selbstsicher ihre Wäscheleinen spannten vom einen Haus zum anderen und in den Durchgängen plauderten, als ob die ganze Welt nur ihnen gehörte, strahlten nichts als Lebenszufriedenheit aus; die Kinder, spielend, lachend, rufend, das Leben in Ödenburg prosperierte, und es war, als ob jede und jeder und auch die letzte graue Maus im Getreidespeicher das wüssten.
    Angestrengt studierte Alžbeta den neuesten Preis-Courant von Samuel Lenck, »Colonialwaaren-, Papier-, Commissions- und Speditions-Geschäft« und kleingedruckt »Zuckerfabrik-Niederlage« und in üppiger Fraktalschrift, kursiv, hinzugefügt:
Wein = Groß = handlung
. Man schrieb den 16. Juni 1887, ein heißer, windiger Tag, der an ihren Haaren

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