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Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minelli Michele
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riss und sie reizbar machte, aber die Material- und Esswarenbestellungen waren wirklich überfällig, also konzentrierte sie sich auf das große Blatt, das eng beschrieben war und mit Hunderten von Artikeln lockte. Sie murmelte vor sich hin, als ihre Blicke über die Anzeigen hin und her und auf und ab flatterten wie Spatzen vor einem früchtetragenden Kirschbaum: »… Bartwichse, hundert Schachteln à 50 österreichischen Kronen, wir nehmen, hm, drei;Brillantine Putzpulver ½ Pfund; venetianer Borax; Caffeemehl, und vielleicht sollte ich doch einmal Fliegenholz probieren wegen meiner dauernden Appetitlosigkeit; dann, ah, hier Erfrischungsbonbons für unsere Kunden. Gyps, Alabaster und Stukkatur, bei 1/1 Fass 5 Florin; Haarpuder; Tafelkerzen; Kanzleipapier, gerippt; Tafelreis; Estragonsenf im Glastiegel, ach und endlich wieder: Waschblau!«
    Sie schnappte plötzlich nach Luft, da hatte sie in der Aufregung wohl ganz das Atmen vergessen. Sie drückte sich die flache Hand auf die Brust und nahm ein paar tiefe Atemzüge. Und wieder versenkte sie sich in die endlose Liste und schrieb auf einen kleinen hellblauen Zettel: »… ein Dutzend Flaschen Ödenburger Auslese Wein; Zündwaren, Reibhölzeln in Kisten à 50 Päckchen, blaue, rote und galvanisierte ohne Schwefel, genau. Briefpapier pro Neuriess 1000 Quart, Couverts haben wir noch viele. Nun noch … wo ist er? Ah, hier, russisch Leim und, nicht vergessen, eine Büchse Theriak, wir werden ja auch nicht jünger. Hm. Weißer Pfeffer, den kann ich auch gebrauchen. Und Pomeranzen, die liebt František, und für mich noch dieser feine neue Thee, Kaisermischung im Originalpaquet mit Candis Zucker.«
    Dann glaubte sie, durch zu sein. Unschlüssig überflog sie die Selbstanpreisung des Händlers, der behauptete, mit allen übrigen hier nicht aufgeführten Artikeln ebenfalls billigst zu beliefern, und Artikel, die nicht in sein Fach schlügen, wäre er gerne bereit zu besorgen, so, so, jedoch ohne für Qualität und Preis die Haftung übernehmen zu können, weshalb bei solchen Bestellungen Preis und Qualität genauestens anzugeben seien, aha, aha. Dann stand da noch etwas von Speditionen, die er gerne übernehmen würde, und von Packgeschirren, die er zu eigenen Kosten verrechne. Jaja, das Leben geht beständig aufwärts, nichts, was man nicht auch noch haben könnte.
    Sie hatte für heute kein Programm, langweilte sich ein bisschen, und der Wind zerrte noch immer an ihrem Nervenkostüm. Um sich etwas Freude zu verschaffen, befand sie, könnte eine kleine Ablenkung nicht schaden, also beschloss sie, einen Einkauf zu unternehmen. Sie stand mühsam auf, ihre Gelenke knackten hier und dort, als sie sich für den Ausgang zurechtmachte.
    Bei Löwensteins wollte sie vorbeigehen, bei Horvaths, Seidls und den von Schrickers, und Ausschau halten nach neuen Leinen-, Baumwoll- und Schafwollwaren, Porzellan vielleicht, und ein neuer Hut für František wäre auch wieder einmal fällig. Das trifft sich ohnehin gut, von Schrickers Hut-Niederlage befindet sich in der Grabenrunde Nummer 117, im Samuel Lenck’schen Hause, wie praktisch, dachte sie, und so brauchte sie sich keinen zweiten Gedanken über den eigentlichen Sinn und Zweck ihres Vorhabens zu machen. Den, der sie eigentlich antrieb, den, der in einer gewissen Leere zu finden war, die alle Frauen erleben, wenn sie nicht mehr Mütter von kleinen Kindern sind und ihre beiden Hände plötzlich wieder ganz für sich alleine zur Verfügung haben.
    Wenn nur heute dieser Wind nicht wäre, an diesen Puszta-Wind werde ich mich nie gewöhnen, wie kann es nur sein, dass zwei Menschen, die sich lieben, ein und dieselbe Sache so unterschiedlich erleben! Ich verabscheue diesen heftigen Wind geradezu, ja, er jagt mir je länger, je mehr einen Schauder über den Rücken mit seinem Geheul und dem Um-die-Ecken-Schleichen, aber mir ist, als ob gerade dieser Wind bei František die innere Bindung zu diesem Land gestärkt hat. Wie oft zieht es ihn hinaus, gerade wenn der Wind geht. Nun gut, er ist ja auch etwas jünger als ich, man hat das zwar nie groß gemerkt, aber ich merke es schon. Ich werde allmählich alt. Solche und ähnliche Gedanken bevölkerten Alžbetas Kopf, den sie mühevoll unter einem Hut hielt.
    Seit einiger Zeit fühlte sie sich nicht mehr rundweg wohl in ihrem Körper, sie hatte ein unangenehmes Sausen in den Ohren und klagte über einen Mangel an Appetit, allerlei Schmerzen in den Gliedern waren im letzten Winter noch dazugekommen.

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