Die Ruhelosen
schmerzte ihn noch lange. Die folgenden Tage wollte Elia Primo bis in die tiefe Nacht hinein hier unten verbringen, indem er in der Stadt und an der Hafenanlage von Compagnons zu Auftraggebern und von diesen zu möglichen neuen Geschäftspartnern trabte; den Weg zurück den steilen Berg hinauf bis nach Opicina wollte er sich, solang es ging, ersparen.
Auch jetzt versuchte Abelarda seinen Duft durch dasGewebe seines Mantels hindurch in sich aufzunehmen. Es war das erste Mal, dass er nicht von ihr abrückte, und es war einer momentanen Unaufmerksamkeit, einer müden Nachlässigkeit zuzuschreiben, dass er sie so nahe an sich heranließ, überhaupt eine Frau so nahe an sich heranließ, seit er kein Kind mehr und in der Obhut seiner Tante Anat war, das verwunderte ihn selbst, und diese junge, hellhäutige, lebhafte Frau mit den perfekt mandelförmigen Augen in der tiefen Farbe des Meeres, die sich da an ihn schmiegte, war ihm, wie es den Anschein machte, ja willig von ihrem Vater überlassen worden; ja war es denn nicht so? Hatte Italo Polacco nicht seltsam gelacht, als er seine Tochter dem Kaufmann entgegenspringen sah? Hatte er, nein, hatte er oder hatte er nicht, Elia Primo sogar zugezwinkert? Und wenn ja, was anderes hätte das bedeuten sollen als aufforderndes Einverständnis?
Sie waren noch nicht ganz bei ihrem Elternhause angekommen, da knickte Abelarda um: »Au! Mein Knöchel!« Sie hockte sich auf ein Mäuerchen und rieb sich mit beiden Händen das Fußgelenk, das in einer Schnürstiefelette steckte. Elia Primo sah das feine Kalbsleder des Schuhs und darüber hin- und herwellend die bleichen schmalen Hände von Abelarda, einer jungen Frau, die kein Kind mehr war, so, wie sie ihren Körper über den Fuß gewölbt hielt, so rund, so weich, so fraulich auch in all ihrer Zierlichkeit, für ihn, den Mann in dieser Kaufmannsschale, mit einem Mal unheimlich begehrlich. Er näherte sich ihr wie ein Panther, der Witterung aufgenommen hat.
»Zeig einmal her.« Er nahm ihren Fuß etwas unsanft in den eigenen Schoß, zog ihn nahe, ganz nahe an seinen verschwitzten Körper heran, ihr Rocksaum rutschte hinauf bis ans Knie, und er berührte sie endlich mit der Hand an ihrem Bein.
Abelarda stockte der Atem. Seine Hand, die so viel größerwar als ihre, fuhr den Strumpf entlang zuerst nach oben und dann wieder nach unten. Eigentlich wollte er sie fragen: Tut es da weh?, er fand aber in seinem eigenen kleinen Schockzustand seine Stimme nicht, und so ließ er es einfach bleiben. Er wollte nichts denken und starrte auf das Stück Bein, das da unter seiner Hand und quer über seinem Schoß lag. Langsam und mit festem Druck bewegte er seine Finger und drückte in das Fleisch. Kurz bevor seine Hand bei ihrem Schuh angelangt war, rutschte sein Zeigfinger über ein Loch im Strumpf. »Oh«, entfuhr es ihm und ihr fast gleichzeitig, simpler Laut des Erschreckens, in Übereinstimmung vorgebracht wie bei einem der perfekt einstudierten Triester Theaterstücke, die Abelarda so überaus gerne beklatschen ging. Und mit derselben Übereinstimmung fuhr sein Finger nun durch das Strumpfloch und drang in einen Bereich vor, der noch von niemandem zuvor erkundet worden war. Abelarda glaubte, ihr Bein, ihre Wade müsse demnächst zerspringen, sich von ihr lösen und in die Luft erheben, sie wagte kaum zu atmen und wünschte sich ein größeres Loch in den Seidenstrumpf, ein weiteres, ein abenteuerlich großes und mächtiges Loch. Als Elia Primo einen zweiten Finger durch die Öffnung zwängte, löste sich ein Faden aus dem Gewebe, und es gab ein Geräusch, als ob die Luft wie ein Vorhang zerriss. Da hatte Abelarda kurz aufgeschrien. Von einem ihm unbekannten Instinkt angetrieben, einem, der aber bereits bei Kelten, Römern, Markomannen, Quaden, Hunnen und Langobarden gewirkt haben musste, vielleicht auch bei Abelardas Vater und Mutter und, wer weiß, vielleicht einmal, ein einziges Mal auch nur bei Elia Primos eigenen Eltern, Lazzaro und Costanza, rückte der verschwitzte Kaufmann hautnah an Abelarda heran, fasste ihren Kopf mit seiner zweiten Hand und schob seinen Mund an ihren. Öffnete ihr die Lippen mit seinen. Ihre Zähne schlugen an seine Schaufeln, aberanstatt sich über diese kleine Unbotmäßigkeit zu entrüsten, rüstete Elia viel eher auf und nahm einen großen Bissen aus ihrem Mund: Ihm war, als stünde er kurz vor dem Hungertod, als äße er sie in einem letzten verzweifelten Selbstrettungsversuch. Er schmeckte ihre jungfräuliche
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