Die Ruhelosen
Bake, die die Fahrrinne markierte, der Rosapelikan, der vor Jahren mutterseelenallein vom Donaudelta herübergeflogen kam und seither geblieben war und der mit seinem Käscherschnabel so geschickt nach Futter tauchen konnte, in der Luft die schwirrenden Schwalben und die segelnden, kreischenden Möwen, die ihr Teil zu erobern versuchten an dieser schönen neuen Welt, an diesem Hochglanz, diesem Wunder des Fortschritts, diesen ganzen glückverheißenden Optionen, die sich an diesem frühen Morgen an der Via del molo in Fiume freimütig präsentierten.
»Acht! Es sind sogar acht Katzen!«, zählte der bernsteinäugige Junge mit den adretten gerade so angesagten Knickerbocker und den feinen Lederschuhen. Er rückte stolz die obligate blau-weiße Seemannsmütze auf dem Kopf zurecht, ohne die er nie aus dem Hause ging, ja, nicht einmal schlafen. »Bravo, sehr aufmerksam, Elia Costantino! Die kleine gelbe dort, ich sehe sie auch. Komm, suchen wir Papa, er muss hier irgendwo sein!«
Elia Costantino leckte sich die Lippen, schmeckte das Salz der Meere, nicht nur das des Adriatischen, nein, er schmeckte das Salz auch der Meere, die hinter dem Horizont über den Erdball wogten, sich wölbten voller Geheimnis, voller Prophezeiung und Macht, hörte nichts als das Heisern der Seemöwen über dem gespannten Himmel und spürte zu spät, dass ihn seine Mutter an der Hand gefasst hatte und mit sich mitzog, so dass er beinahe den Halt verlor und nun nach zwei hastigen Ausfallschritten unaufmerksam hinter ihr herschlenkerte.
Fiume im Königreich Kroatien und Slawonien mit seinem Meerhafen und den umliegenden Dörfern war ein wahr gewordener Traum, und jeder träumte ihn auf seine Weise. Mit privaten Prunkbauten, Palästen, stil- und kunstvollen Häusern, eines höher als das andere, mit Renaissance-Elementen oder orientalisch angehaucht, selbstbewusst hingestellt und hochgezogen, mit unverschämten Fenstern und riesigen Balkonen ausgestattet, bewies die Hafenstadt jedem Neuankömmling, wie wichtig sie war, wie unverzichtbar. Die Mole entlang reihte sich Lagermagazin an Lagermagazin, man konnte der vielen angelieferten und auszuliefernden Ware kaum Herr werden, so schnell entwickelte sich alles, alles, und man hatte ja auch alles in genügend hoher Zahl, ausreichend und zentnerweise und immer auf dem neuesten Stand der Technik: zum Beispiel den in ganz Europa anerkannten Petroleumhafen, der miteinem ausgeklügelten und allseits bewunderten Pumpwerk den ankommenden Rohstoff direkt in die Raffinerien pumpte, oder auch die Reisschäl- und Stärkefabrik, in welcher der ungeschälte zumeist aus Ostindien angelieferte Reis veredelt wurde, auf dass man ihn weiterschicken konnte auf seiner Reise nach Österreich-Ungarn hinein, nach Italien, Griechenland und in die Türkei, und nach England expedierte man die beim Polieren der Reiskörner entfernte Randschicht ihrerseits als begehrte Reiskleie, oder auch ab nach Holland damit, nach Portugal und Frankreich.
Der Handel in Fiume hatte sich in den letzten Jahren mehr als verdoppelt, die Stadt verfügte über Straßenbahnen und Bahnlinien nach Ljubljana und Zagreb, Wien, Budapest und Triest.
Banken waren entstanden, Hotels, ein Theater, an dessen Bau Abelardas Vater maßgeblich beteiligt war. Italo Polacco war ein erfolgsverwöhnter, hart arbeitender Architekt, ein Mann, der rund um die Uhr plante, zeichnete, befahl und berechnete, auch dank ihm erstrahlte seine Heimatstadt Triest wie neuerdings auch Fiume in diesem die Augen so blendenden Reichtum und Glanz, in der schillernden Brillanz, die ein Muss für alle Städte war, die etwas auf sich hielten.
Abelarda, ihren Elia Costantino hinter sich herziehend, fand ihren Gatten Elia Primo Israël am Ostende der Mole hinter einem Stapel Holzkisten, die unappetitlich rochen, wie er gerade einen Handel mit einem halbseidenen Mann abschloss. Abelarda blieb etwas zu abrupt stehen, eine Unregelmäßigkeit in den fließenden Bewegungen, die an jenem Morgen Fiume prägten, so dass Elia Primo sie im Augenwinkel bemerkt haben musste und sich mit dem Rücken sekundenschnell gegen seine Frau und den Sohn abschirmte, eine Reaktion, die Abelarda von ihrem Mann bereits kannteund die sie ihm nicht wirklich übelnahm, nur als überflüssig empfand, dann aber, als sich der andere entfernte, drehte sich ihr Gatte schwungvoll zu ihr um, auch das eine bekannte Geste, und öffnete beide Arme.
Eine Andeutung, keine echte Einladung, ein Aufzeigen, was möglich wäre,
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