Die Ruhelosen
Parfumflakons waren im ersten Winter, in dem Elia Primo sie in Triest und Fiume auf den Markt brachte, le dernier cri bei den Damender Gesellschaft. Überhaupt: Je überflüssiger, desto beliebter war ein Produkt beim weiblichen Geschlecht, eine Verschwenderei, die Elia Primo als Mann zutiefst abstieß, die ihn als Kaufmann aber anzog wie Honig den Bären.
Nebst alldem blieb er eine ganze Weile lang dem Geschäft mit den Kleidern treu, kaufte Meterware wie Batist, Pikee und Musselin aus feiner Baumwolle, aber auch Taft und schillernde Atlasstoffe, die in Triest und Fiume lange Zeit in Mode waren, jede Menge Samt in den Farbtönen Rosa, Flieder, Mauve, Mokka, Schiefer, in Königsblau und Schilfgrün, Moosgrün, Laubgrün, in Fuchsia und Karmesin und sand-, crème-, mandarinfarben, einfach alles, was irgendwie anders, irgendwie speziell war, sowie fertige Qualitätsware wie Häkelschals aus sizilianischer Muschelseide und natürlich eng taillierte Kleider mit stark betonten Ballon- und Keulenärmeln oder kleinen Flügeln und breiten Kragen mit Spitzenbesatz. Und erst die gefragten halbdurchsichtigen plissierten Blusen mit den samtüberzogenen Knöpfen in den Farben der Morgendämmerung, wie sie ihm von den jungen Mädchen der besseren Häuser geradezu aus den Händen gerissen wurden, lauter herrliche Sachen aus den Modezentren Paris, Berlin und Wien. Er hielt sich mittels der einschlägigen Zeitschriften informiert, las regelmäßig »Die Modenwelt. Illustrierte Zeitung für Toilette und Handarbeiten«, studierte »Die elegante Mode« und blätterte im »Bazar«, und durch seine täglichen Hafenkontakte wusste er schließlich immer als Erster, wo wann welche Ladung gelöscht werden würde, und er sorgte genauso wie die Möwen bei ihrem Sturzflug vom Himmel ins Wasser hinab hier auf der Erde dafür, dass eine angemessene Menge dieses Überflusses für ihn abfiel.
Irgendwann wurde es ihm zu viel, und als das Geschäft mit dem Reisegepäck so richtig aufkam, konnte er seinen Stoff- und Kleiderfundus mitsamt den Vorjahresmodellenan einen jungen aufstrebenden Händler losschlagen und strich dabei obendrein einen massigen Gewinn ein. Von dem Tag an hatte er nicht mehr so viel weibliche Kundschaft in seinem Laden, aber da ihm das Weibliche ohnehin noch immer einen unheimlichen Schiss einjagte, fühlte er sich nun entspannter und in seinen Verhandlungen sicher.
Seine neuen Kunden kamen von überall her und waren wohlhabende Reisende, Geschäftsleute und Unternehmer wie er, denen er seine Ware von Fiume aus zuverlässig nach Ferrara, Triest, Venedig, Paris, Budapest und in die königliche Freistadt Mitrowitza lieferte. Reisekoffer, Schrankkoffer, Überseekoffer, Koffer aus Leder, Metall oder Schachtelpappe und sogar Instrumentenkoffer, alles ließ er anfertigen und experimentierte dabei gerne mit Materialien herum. Handtaschen für den feinen Herrn und zierliche Lederbeutel für die Damen, selbst eine Spielzeugschachtel aus gesteiftem Büffelleder hatte er einmal auf Wunsch der Eltern für ein Kind anfertigen lassen. Dabei kam ihm all das Wissen um Leder und Lederverarbeitung zugute, das er in der Lehre beim Vater hatte ansammeln können. Zudem tätigte er das eine oder andere erfreuliche Geschäft mit Vaters Nachfolger in Livorno und hielt sich so auch dabei auf dem Laufenden.
»Nein, natürlich nicht, wo denkst du hin, Abelarda. Die sind alle tot, es sind nur die Häute.«
»Nun, einerlei. Ich bin gekommen, dir zu sagen, dass wir nächste Woche nach Triest fahren. Eine Theaterpremiere steht an, und die Zaritskys haben uns zu einer Gesellschaft eingeladen. Es wird Zeit, dass wir uns bei ihnen wieder einmal blicken lassen, findest du nicht?«
Obwohl es Elia Primo eher unbequem ankam, gerade jetzt, gerade in der Hochsaison der ein- und auslaufenden Schiffe Fiume zu verlassen, so hatte er gegen ein, zwei TageTriest nichts einzuwenden. Auch in Triest verzeichnete er wichtige Handelspartner, und die Zaritskys selbst hatten sich als gute Abnehmer zahlreicher Sondermodelle erwiesen. Lion Zaritsky war Pianist und Komponist, und Elia hatte schon lange mit ihm über ein Klavier der Marke Kaim & Sohn aus Kirchheim bei Stuttgart plaudern wollen, ein wuchtiges Stück mit geschwärztem Wurzelholzfurnier, Rosenholzintarsien und einer gleißenden Elfenbeinklaviatur sowie, als besondere Pointe, zwei stilvoll geschwungenen Bronzekerzenhaltern, das nur zu gut geeignet wäre für dessen Tochter Sara, die überdies genau im rechten Alter
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