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Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minelli Michele
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nicht, dann wird man auch über Dich nie Klagen hören.
    Und vor allem: Beweise Deine Hartherzigkeit gegen Dich selbst und schnüre auch nach diesem bedeutungsvollen Tag Dein Mieder immer schön eng und fest, dann wirst Du die Figur, an der wir beide Deine ganze Kindheit durch so lange hart und standhaft gearbeitet haben, nicht verheeren. Die Folgen einer solchen Nachlässigkeit wären undenkbar. Schreib nur recht ungeniert, wenn es Dich nach Ratschlägen Deiner alten Mutter dürstet, ich gebe sie Dir freimütig und gern.
    Ach ja: Dein Mann wird Dir unweigerlich eine neue Garderobe anschaffen, sei dabei also nicht bequem, sonst wirst Du ewig büßen – und wir mit Dir! Lass Dir die Kleider lieber etwas zu eng schneidern, und geh nie ohne Mieder! Nicht, dass Dir plötzlich die Taille Sorgen macht, das wäre der Anfang Deines Endes. Pflege Dich also, wie ich es Dich gelehrt habe, wahre Haltung und Figur – die Grundlage weiblicher Eleganz. Je mehr es Dir gelingt, mit Deinem Korsett zu verwachsen, umso stabiler wird auch Deine Stellung in der neuen Gesellschaft sein, in der Du Dich nun bewegst. Wenn Du willst, bediene Dich des alten Tricks und lege Dich mit dem Korsett schlafen. Vier, fünf Nächte und Dein Körper wird sich daran gewöhnt haben, solltest Du der neuen Nahrungsgewohnheiten wegen etwas aus dem Leim gegangen sein.
    Beiß ein paar Tage auf die Zähne, und mach ein nettes Gesicht, bald wirst Du merken, dass für eine Frau von einem gewissen Stand nichts unerträglich ist. Halt aus und denk an mich, Deine Mutter, die Dich innigst liebt und die Dir mit den guten Wegweisungen noch lange zur Seite stehen wird. Mach nur weiter tüchtig Deine Körperübungen und halte Dich bei fetten Speisen zurück, so wirst Du Papa und mir viel Freude bereiten, wenn wir Dich nächstes Jahr in Deiner neuen Toilette besichtigen kommen. Dir in Liebe und Verantwortung zugeneigt, Deine Mutter.
     
    Welche dünkelhafte Aufgeblasenheit! Welch impertinente Grausamkeit! Wenn sie das doch nur geahnt hätte! Aber sie hatte ja keinen Schimmer davon gehabt, mit welchem Druck, innerem und äußerem, ihre liebe Schwiegertochter hatte fertig werden müssen. Sie wäre die Erste gewesen, die mit ihr in einem ausgelassenen Freudentanz sämtliche Mieder und Korsette und Schnürbrüste im Hinterhof verbrannt hätte! Die Erste, die beim Bäcker für sie Mehlspeisen geholt hätte für ein kaltes Kuchenbuffet!
    Sie hatte sich einfach nichts dabei gedacht, als sie Krisztina bereits Tage nach ihrer Niederkunft in einem hübschen Kleid und ihrer reizvollen Figur im Haushalt hantieren sah. Sie wusste gar nicht, wie sehr sich Krisztina schnüren ließ, kannte sie nicht in dem Zustande, in dem Gott sie geschaffen hatte, das arme schöne Kind, und als sie so plötzlich zusammensackte und nach Luft röchelte, war’s des Schadens schon zu viel. Auch der eiligst herbeigerufene Arzt, eine Koryphäe auf seinem Gebiete, hatte den Kopf geschüttelt und traurig gesagt, da käme wohl jede Hilfe zu spät. Die strengen Schnürungen hatten ihr die Gedärme verschoben und verdreht, und als der Darm in die Bauchhöhle durchgebrochen war, war es eine Frage von wenigen Stunden, dass die wunderschöne Krisztina an ihrer Sepsis starb. Ein einziges Bild der Verheerung: unten das Geschliere und der Gestank und oben das nass geschwitzte strähnige Goldhaar, an dem Klein Feri mit seinem Babymündchen sog und zerrte.
    Selbst bei ihrer Beerdigung führte der Arzt, kläglich aufbegehrend und wie schuldbewusst, noch einmal in aller Form aus, dass die schädlichen Auswirkungen der Corsetage auf die somatischen Verhältnisse noch nicht wirklich suffizient bekannt seien, obwohl, er müsse zugeben, einiges wisse man eben doch, aber die feinen Damen seien ja durch nichts, nichts, gar nichts davon abzubringen, ihre Körper einzuschnüren! Bedingt durch diesen unnachgiebigen Kompressionsmechanismus verlagerten sich bei manchen die lebenswichtigen Organe, komme es zu Rückgratverkrümmungen und immer, immer wieder auch zu Störungen des Blutkreislaufes, ganz speziell heute, ja, da die Mode längere Korsetts erfordere, die nun auch Hüfte und Bauch nach gängigen Sanduhridealen modellierten, und wie eine Sanduhr, so sehe der Mensch, die Frau, nun wirklich nicht aus! Und die immer enger werdenden Taillenweiten, die davon der Modeindustrie gefordert würden, das sei doch die reinste Kriegserklärung an den Körper einer jeden Frau, er wisse das, er habe das auch hinreichend geäußert auf

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