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Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minelli Michele
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wäre es dunkel, wären sie alleine, wären sie nicht hier in aller Öffentlichkeit, seiner Öffentlichkeit, in seinem Revier. Durch ein schräges Nicken deutete Abelarda an, dass sie verstanden hatte und dass die Umarmung ruhig warten konnte. Das Kind hätte er ohnehin nicht in seine Arme geschlossen, ihm reichte Elia Primo förmlich die Hand wie ein Geschäftsmann dem anderen. Abelarda schnaufte laut auf, dieses ganze Begrüßungsgehabe für nichts und wieder nichts, aber sie wartete geduldig, bis die Reihe zu sprechen an ihr war. Der Kleine übersah das Ritual hartnäckig und fasste sich schon aufgeregt an die Kappe, als er fragte: »Was hast du gekauft, Papa, sag schnell, was hast du gekauft?«
    »Diesmal nichts für dich. Und auch nichts für dich, Abela.«
    »Das sah aber geheimnisvoll aus, willst du es uns nicht verraten?«
    Elia Primo rückte ein Schrittchen näher an seine Frau heran – er war wachmännisch darum bemüht, eine gewisse Distanz zu ihr nicht zu unterschreiten, so, als ob er sonst befürchten müsste, von einem unwiderstehlichen Magneten angezogen und verschlungen zu werden –, streckte ihr so ungelenk den Kopf entgegen, dass er ihm beinahe vom steifen Schaft seines Halses fiel, und flüsterte: »Kaimanbälge. Und Gürteltiere aus Kolumbien.«
    »Was immer das sein soll, Elia Primo, was willst du denn damit?«
    »Du wirst schon sehen. Jetzt gehen wir noch zum Alaunhändler, ich brauche neues Alaun aus Tolfa oder Munkács,dann kann ich aus diesen Häuten wunderbares Leder für die neue Kofferkollektion herstellen lassen.«
    »Ah, Tiere! Sie leben doch hoffentlich nicht mehr?«
     
    In der Tat: Aus dem mutterlosen Kind Elia Primo Israël war ein wohlhabender und bekannter Kaufmann geworden, der überall, wo es ihm von Nutzen war, seinen Einfluss geltend machte. In Fiume betrieb er eine Valigeria, ein Koffer-und-Reiseutensilien-Geschäft, sowie einen Pianogroßhandel. Er arbeitete rund um die Uhr, und das schon seit Jahren. Seinen alten Vater sah er nur noch selten, seine Tante Anat, die geholfen hatte, ihn großzuziehen, ebenso wenig, sie beide erinnerten ihn an irgendetwas, das er lieber vergessen hätte, ein Gefühl, eine Empfindung, die sich seiner bemächtigte, wann immer er in Livorno oder Ferrara war, in den Häusern seiner Kindheit. Es war, als sängen die Gemäuer zu ihm und brächten mit ihren Klängen sein Gehirn durcheinander, sein Denken, die Fähigkeit, Schlüsse zu ziehen, und damit die Rettung, die Rettung von – er wusste auch nicht was. Nein, für ihn war es besser, sein Leben fern der Verwandten zu meistern, sich sein eigenes Imperium aufzubauen, über die eigenen Schleichpfade zu schnüren und dadurch ganz gewiss an seinem gesteckten Ziele anzukommen. Er hatte nicht geruht, er hatte gekrampft und geschuftet für seine Anerkennung, hatte zuweilen die Arbeit von vieren allein gemacht, weil er sich immer wieder vorsagte: Von nichts kommt nichts. Also musste doch von viel viel kommen, eine durchwegs vernünftige Schlussfolgerung, das war sie doch? Und auch mit dem Rabbi stand er auf bestem Fuße; man konnte sagen, in der Gesellschaft besserer Herren fühlte er sich wohl. In ihren Gesichtern konnte er lesen, wusste, wo Handel möglich war und wo nicht, erkannte seine zukünftigen Geschäftspartner intuitiv. Im Gegensatz zum so zielsicheren Umgang mit Männern war er Damenjahrelang erfolgreich aus dem Weg gegangen – wenn er es sich recht überlegte, wusste er auch nicht mehr genau, wie es dazu gekommen war, dass er sich heute als Familienvater einem Sohn und einer hübschen Frau gegenübersah, die, zwölf Jahre jünger als er, mit ihren dreiundzwanzig Jahren ganz schön naseweis war, wie er zuweilen fand.
    Anstatt sich aber darüber zu viele Gedanken zu machen, plante er lieber eine seiner nächsten Reisen nach Wien. Diesmal natürlich mit dem hochmodernen Dampfross und nicht mehr mit einer lädierten Kutsche wie damals, als er Abelarda gerade frisch kennengelernt hatte, dieses Kind, das ihm da mit einem weißen Spitzentaschentuch nachgewinkt hatte, bis er aus ihrem Blickfeld verschwand. Ihm war das irgendwie peinlich gewesen, so lange bewinkt zu werden, aber danach hatte er den Zwischenfall schnell vergessen, die Ladung war das Einzige, was ihn in diesem Moment des Wagnisses interessierte, die Stoffe und Kleider und Hüte, die er geschichtet hatte auf seiner Kutschenfahrt nach Wien, die gute drei Wochen dauern sollte und dann noch einmal so lange zurück, und er war voller Ideen

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