Die Ruhelosen
und geschäftlicher Vorhaben, selber dreiundzwanzig damals, jung und tüchtig und gut im Saft, und nichts, nichts hätte ihn davon abbringen können, einst ein Großer zu werden, mit oder ohne Vaters Vermögen, er würde sich schon eine Existenz aufzubauen wissen, eine, die beeindruckte, eine, die hielt. Heute war von seinem damaligen Erfolgswillen allem voran der Eifer übriggeblieben, und dieser war fast noch ausgeprägter: der Eifer, dazuzugehören, der Eifer, einer von den Wichtigen zu sein, auf seinem Gebiete der Wichtigste. Und das war er wohl geworden.
Die Idee, mit seinem Geld eine neue Synagoge bauen zu lassen, natürlich mit Hilfe seines Schwiegervaters, und sich im neu anzulegenden Friedhof dieser Synagoge den Herzensplatz, das Grab in der Mitte, im Zentrum und Ausgangspunktvon allem und zu allem und das bis in alle Zeiten hinein, zu sichern, hatte er noch nicht ganz aufgegeben. Obwohl ihm sein Freund, der Rabbi Shemuel Herz, schmunzelnd erklärt hatte, dass das erste Grab in einem neuen Friedhof dem Erstgestorbenen gehören würde und er sich diesen Platz nur dann erobern könne, wenn ihm dieser kleine Begleitumstand, diese Unbedeutsamkeit seines vorzeitigen Ablebens – jetzt, auf dem Zenit seiner Schaffenskraft –, nichts ausmache, wobei er auch dann noch immerhin etwas auf die Gnade des Ewigen angewiesen sei, der ihm diesen Wunsch, der zugegeben etwas für sich hatte, vielleicht tatsächlich großzügigerweise erfülle, schob und zerrte und zog Elia Primo diesen Gedanken noch etwas in seinem Kopfe herum, sein ehrenvoller Platz im Zirkel der Nachwelt musste doch irgendwie zu sichern sein. Eines der wenigen Geschäfte also, das er noch nicht abgeschlossen hatte.
Als er damals von Wien endlich zurückgekommen war, war es höchste Zeit gewesen. Der Schnee fiel schon in dicken Flocken, und mehrfach waren die Räder der Kutsche seitwärts ausgebrochen und weggerutscht. Die Pferde, die er unterwegs eigentlich noch einmal einen Tag hatte ruhen lassen wollen, wurden bis zum Äußersten angetrieben, man würde sie nachher nur noch zum Abdecker bringen können, es wäre nicht auszudenken gewesen, wenn er mit seinem teuren Frachtgut und den neu geschlossenen Verträgen unterwegs festfrieren und umkommen würde wegen eines unerwarteten Wetterumschwungs! Aber wer hätte auch wissen können, dass es 1882 in der Gegend von Görz frühzeitig schneien würde? Und dann war sie wieder da gewesen, vor ihrem Hause in Triest, die Tochter des Architekten, mit dem langen hellbraunen Haar und den wie hingepinselten mandelförmigen blauen Augen, in dem edlen Gesicht klar abgegrenzt durch dichte Wimpern – mit demselben Spitzentüchlein winkend. Ihm winkend.
Ihr Vater, Italo Polacco, hatte bei Elia Primo Mäntel bestellt aus hundert Prozent Kamelflaumhaar für sich, seine Eltern und seine Frau. Und es war Elia Primo anzurechnen, dass er die Körpergröße der kleinen Abelarda, damals elf Jahre alt, richtig geschätzt hatte: Auch ihr Mantel saß perfekt. Das hatte dem Alten Eindruck gemacht, und Elia Primo konnte die Familie Polacco auf seiner Kundenliste zweimal unterstreichen.
Es hatte dann noch einmal gut drei Jahre gebraucht, bis sich Elia Primo mit seiner Valigeria einen Namen gemacht hatte, und noch einmal zwei, bis sein Pianohandel genügend bekannt war. Besonders beim Geschäftsaufbau mit den Taschnerwaren hatte Elia Primo Geduld beweisen müssen. Bis er das Vertrauen der wichtigsten Hersteller, damals vor allem Würzls in Wien, gewonnen hatte, musste er eine Gutweile katzbuckeln und ihnen allerlei Gefälligkeiten erweisen. Aber Elia Primo wusste, was er wollte, und das war ganz bestimmt keine Mittelware, also blieb er der beständig geduldige Kaufmann aus der Hafenstadt, der um die Gunst der Wiener Taschnerwarenhersteller buhlte, bis er sie schließlich für sich gewann. Die Solidität der Koffer und Reiseutensilien übertraf alles, was Elia Primo kannte, und er wusste, dass in Fiume und Triest, ja bis weit ins Landesinnere hinein, zahlreiche geldschwere Abnehmer zu finden waren. Und Würzl war ja selbst dafür bekannt, dass er gut und gerne Sondermodelle für valable Kunden anfertigte: Von der voluminösesten Tasche bis hin zum kleinsten Necessaire war bei ihm alles zu bekommen. Futterale aus mit Silber durchwirktem Satin, Behälter aus Saffianleder für Spiegel und Nagelfeilen und -scherchen der Damen, für Uhren und für Besteck, ja ganze Geschirrkoffer fabrizierte Würzl nach Maß. Die Lederbeutelchen für
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