Die Ruhelosen
war.
Ein plötzlicher ablandiger Wind wirbelte über die Mole und erfasste Abelardas Hütchen, ein mit einem Federhörnchen garniertes und Silberband drapiertes Einzelstück, das er ihr aus Florenz mitgebracht hatte. Sie griff mit beiden behandschuhten Händen in die Luft und jauchzte, als sie den Propeller vom Davonsegeln abhielt, ihr leicht ausgestellter Rock mit den vielen Stofflagen und ihr modisch geschnürtes Korsett behinderten sie dabei nur unbedeutend. Ein paar der aufgesteckten Haare hatten sich gelöst und kringelten sich in natürlicher Schönheit um ihr herzförmiges Gesicht, sie hatte alle Hände voll zu tun, sich wieder als feine Dame herzurichten, und sie lachte ein kurzes melodiöses Lachen, als wäre es ihr ein Jux. Elia Costantino Italo drückte sich mit beiden Händen die Mütze auf den Kopf und barg ihn zwischen den Schultern, sagte uh-huuu und leckte sich über die Lippen.
Die drei standen da in losem Verbund, jeder mit sich selbst beschäftigt, Sinnbild des prosperierenden Fiume, Sinnbild einer Welt, die nach ihren Möglichkeiten langte. Abelarda schob sich die Haarsträhnen zurück unter das Hütchen und beugte sich dann zum Sohn hinunter, um ihm einer plötzlichen Eingebung nach einen Kuss auf die Wangezu drücken. Sie war ganz beglückt in diesem Moment, hier stehen zu können mit ihrem Mann, der so wichtig war, den sie sich einst erobert hatte wie ein lukratives Spielzeug, das nun ihres war auf immer und ewig, auf das sie Anrecht hatte und das sie beanspruchte, und dem Sohn, der seiner kleinen Eigenheit, dem beständigen Zählen von Dingen, frönte, sie erkannte es an den Lippenbewegungen, mit ihren beiden Herren eben, wie sie in Gesellschaft gerne sagte.
Und auch Elia Primo konnte eigentlich zufrieden sein mit dieser gegenwartsfreundlichen Frau und dem Sprössling, den es zum Meer und zu den Zahlen zog, eigentlich war doch das das Glück eines jeden Geschäftsmannes, nicht nur beruflich, sondern auch privat erfolgreich zu sein, und er lebte nun bereits wirklich schon darüber hinaus wie in einer Extraportion Sahnehäubchen, das auf einem Schokoladekuchen thronte, und die Welt um ihn herum bot ihm reichlich kandierte Früchte und anderes Zuckerwerk an, ihm ging es gut, dachte er ungeduldig, und dennoch wirkte ein Unwohlsein in der eigenen Haut, das er fast nie abstreifen konnte, ein Dorn, den ihm auch seine ihm zugewandte Abelarda nicht herausziehen konnte, das Gefühl eines Verlusts, der nie mehr wiedergutzumachen war. Er sog hastig Luft ein und sah über die Köpfe der Seinen hinweg in die Menge, in die allgemeine Geschäftigkeit, den Tumult von Kauf und Verkauf, das Einzige, was ihm dieses unwillkommene Gefühl betäuben konnte.
Lange Zeit hatte er geglaubt, dass sein Zorn mit seinem Vater zusammenhinge, dem er grollte wegen der lächerlichen Figur, die dieser abgab, nur ein halbes Männchen mit Hut und Stock und einem überspannten Rückgrat, um irgendeine Körperlichkeit vorzutäuschen, die er sicher nicht hatte. So ging Elia Primo überstürzt mit achtzehn Jahren auf Wanderschaft, und als er vier Jahre später endlich wieder zu Hause auftauchte, unangemeldet, aber so willkommen,so gern gesehen, so geliebt?, als er sich nach diesem warmen Empfang schließlich mit dem Vater versöhnt hatte, spürte er, dass dieser Schmerz doch tiefer lag. Trotz der Wiedervereinigung hatte es Elia Primo beim Vater erneut nicht lange gehalten, und er musste endgültig wegziehen aus Livorno, fort auch von Ferrara und den ewig traurigen Blicken seiner Tante Anat. Von ihr ganz besonders: Immer hatte Elia Primo neben dem natürlichen Stolz auf ihn, den stattlichen Neffen, auch eine dirigierte Trauer und damit ein Sich-Abwenden durch die Tante gespürt. Unbewusst hatte er früh gelernt, dass ihm da wohl etwas fehlte, das er immerzu suchen und das er vermutlich nirgends je finden würde.
Und so pochte in Elia Primo eine Unruh, die ihn an keinem Platze länger verweilen ließ als unbedingt notwendig. Noch bevor Abelarda ein neues Thema hätte anschneiden können, sah sie ihren Mann schon unbestimmt in die ferne Menge nicken und, nach einem flüchtigen, nur hingehauchten, weil etwas verschämten Ciao, ci vediamo, dem nächsten imaginären oder auch echten Geschäftspartner entgegen- und damit ihrem Blick enteilen.
von Pferden und von Hunden
Alzano Lombardo, 1894
Seit vielen Jahren stand das hölzerne Nachziehpferd nun schon auf einem dunklen Regal im Schuppen hinter dem Haus. Serafino hatte es längst
Weitere Kostenlose Bücher