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Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minelli Michele
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Rufen. Das Fluchen. Die Worte. Die Scherben. Die Schritte. Das Wort. Pogrom. Und Angst. Ich schmecke. Die Angst. Und Flucht. Und alles das flieht. Die Häuserzeile. Sie flieht. Ihr Zurückweichen. Wir können. Nicht mehr. Zurück. Nicht mehr. Hinein.
     
    Das Kreischen. Die Frau. Das Klatschen. Mein Kopf. Auf meinem Kopf. Ein Ei. Das platzt. Das Ei. Das Ei. Ich rieche. Das Klebrige. Der Geruch. In meinem Haar. Auf meinem Kopf. Ich fühle. Ich träume. Ich träume nicht. Ich bin ganz wach. Mein Herz zerhämmert. Meine Seele. Das Ei. Geplatzt.
     
    Zu Hause. Mein Fenster. Ich höre. Ich höre. Ich höre. Ich höre. Ich höre. Meinbettmeintischmeinstuhlmeininstrumentmeinlebenmeinich. Zerschellt. Ein Klang. Ein Schmerz. Ich bin nicht da. Nein. Ich schlafe nicht.
     
    Sie sind da. Sie lachen. Die Männer. Das Lachen. Tante Sophie.
     
    Ich träume. Ich träume. Ich träume nicht. Mein Jossel. Mein Federchen, mein Engelchen. Es fliegt. Mein Flügelchen in der Luft. Mein Jossel, das kleine Kind. Hochgeworfen. Und wieder aufgefangen. Ich höre nicht. Hochgeworfen, aufgefangen, ich sehe nicht, hoch … Die Männer. Im Hoch. Der Jubel. Ich höre, ich höre nicht. Mein Rufen. Mein Weinen. Mein Schreien. Ich höre, ich höre nicht. Ich sehe. Mein Jossel. Sein Gesichtchen. Er weint. Er hat so Angst.
     
    Das Lachen. Die Männer. Die Waffen. Gewehre. Ich träume, ich träume nicht, ich höre. Ich sehe …
     
    Mein Jossel. In der Luft. Er fliegt ganz hoch, nach oben, nach oben, nach oben, wird langsam, hält an und dann …
     
    und Tante Sophie
     
    … die Wende, noch in der Luft.
     
    Und unten. Die Männer. Ich schreie. Man hört nicht. Und Jossel. Gewehre. Nach oben. Der Fingerzeig. Das eine Bajonett. Und Jossel … mein Jossel.
     
    Ich sehe. Ich höre nicht.
     
    Ein Traum. Ein Schemen. Ein Bild. Eine Gravur. Im Herzen. Der Seele. In mir. Versehrt. Graviert. Ein Traum. Mein Ich. Ein Bild. Ein Schwur. Nur einer. Der bleibt. Und Jossel. Sein Flug nach unten. Das Bajonett. Nur Bilder. Keine Töne. Kein Ton. Keine Gefühle. Kein Ich. Nur er. Und eines, das bleibt. Der Stahl. Die Klinge. Die schneidige Eleganz dieser Tat …
     
    wie ein Ballett …
     
    ein Akt …
     
    auf der Bühne …
     
    zur Schau.
     
    Meine Erinnerung an Jossel. Kein Traum.

Füchslin, Bisig, Öchslin, Schädler, Ruhstaller und der Pfarrer Kälin auch
    in der March, 1902–1906
    Pfarrer Kälin hatte schon den ganzen Morgen über an den Fingern gefroren, seine Durchblutung ließ eindeutig zu wünschen übrig, aber er konnte ja nicht schon vor der Sonntagspredigt Wein trinken, nicht jedes Mal jedenfalls, das wäre dann vielleicht doch einmal jemandem aufgefallen, und das wäre das Letzte, das wirklich Allerletzte, was er hätte gebrauchen können, einen Skandal wegen des bisschen Weins oder überhaupt noch einen Skandal, denn Pfarrer Kälin wusste es nur zu gut, dass er in dieser Gemeinde mit beiden Füßen auf Glatteis stand. Und das nicht nur, weil man ihm seit neuestem eine Kebse andichtete, ein Weibsbild, pfui pfui, sondern eben gerade auch, weil sein Lebensstil ein eher auffälliger war die letzten paar Jahre über, und das sah man hier oben gar nicht gern, hier oben in dieser Gemeinde, immerhin hatte man große Stücke auf ihn gehalten, damals als man ihn geholt hatte, nach der Ausbildung, die er genossen hatte an der renommierten Theologischen Fakultät zu Zürich. Sein einziger Pluspunkt in diesem erbärmlichen Erdenleben, heiliger Bimbam, was wäre er ohne dieses eine Faktum in seinem Curriculum Vitae!
    Überhaupt vermutete Pfarrer Kälin schon seit geraumer Zeit, dass ihm jemand Übles wollte, ihn verunglimpfte und seinen Namen in den Dreck zog. Wahrscheinlich handelte es sich bei diesem ominösen Jemand sogar um den alten Quacksalber Bartholomäus Bisig selbst, diese Dorftrottelkapazität, diesen Verräter, der mit der Geschichte seiner,Pfarrer Kälins, Herpes genitalis damals im ganzen Ort hausieren ging und der auch ganz allgemein viel zu gerne über anderer Leute Leiden in aller Öffentlichkeit schwadronierte. Umso besser, dass der Gemeinderat Füchslin nun ihn, Kälin, um Hilfe ersuchte. Füchslin einen Gefallen zu erweisen konnte nur darin münden, vice versa ebenfalls Unterstützung zu empfangen. Vielleicht einen neuen Opferstock? Einen kolossalen Blumenschmuck oder einen Nussbaumschrank in der Sakristei? Allenfalls würde er für ihn auch ein gutes Wort einlegen bei der Kirchenpflege, wenn die Zeit der Wiederwahl käme, und seinen Namen

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