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Die Ruhelosen

Die Ruhelosen

Titel: Die Ruhelosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minelli Michele
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C’era una volta …, es war einmal, weit vor unserer Zeit, um das Jahr eintausend oder eintausendzwei oder vielleicht auch ein-, zweihundert Jahre später, so genau vermag das heute keiner mehr zu sagen, als unser alter Landboden erschöpft war und man der Erde keine einzige Frucht mehr abzwingen konnte, da saß im Dunkeln eines Holzhauses bei offenem Feuer der Vater Bosch mit seiner Familie zu Rate. Er brachte die Kunde nach Hause, dass ein paar Familienälteste der umliegenden Höfe beim Wirmsee sich dazu entschlossen hatten, Hab und Gut seinzulassen und mit nicht viel mehr als den Kleidern, die sie umhatten, und einer Bibel in der Hand loszuziehen, südwärts, wo man sich ein besseres Leben erhoffte. Im Süden, hinter den Alpen, so hieß es, brächten die Wälder freiwillig Beeren und Früchte hervor und läge der braune Boden brach in der Sonne in Erwartung einer kundigen Bauernhand, die ihn doch bestellen möge. Die Boschs wohnten, schon seit sie denken konnten, an einer buschigen Anhöhe und kämpften mit einem Ochsen oder zwei und ihren Hakenpflügen um den einen Bissen in der Hand, der sie vor der nächsten Hungersnot bewahren sollte. Damals war es keine Seltenheit, dass man sogar Menschen aß …«
    »Oh!«
    »… wenn sonst nichts zu bekommen war. Etwas mussten die Zähne ja beißen, und Kannibalismus war der letzte Ausweg vor dem sicheren Tod in manchem dunklen Jahr.«
    »Nein, Mama, so etwas ist ganz und gar unmöglich!«
    »Hört, hört nur, wie es weitergeht.
Nun, wir Boschs, die bei den Büschen wohnten, hatten wohl ganz gewiss nie auch nur einen einzigen Finger angenagt, wir waren schlauer. Und so sprach Bauer Bosch auch in jener kalten Nacht zu den Seinen und sagte ihnen: Wenn die Ernte weniger als die Aussaat ausmacht und wenn der eine Ochse lahmt und am Pflug der letzte Zinken bricht, dann ist die Zeit gekommen, dass unsereins Roggen, Weizen, Gerste, Hafer, Mohn und Spelz ins Säckel auf den Buckel packt und die Füße zum Wandern benutzt.
    Und so geschah es, dass viele Bauersfamilien ihrem Heimatlande den Rücken kehrten und diesen weiten, beschwerlichen Weg antraten, der sie zu neuen Ackerflächen, zu einem Leben mit vollem Wanst führen sollte.
    Bauer Hattu war ebenso dabei wie Bauer Bosch, der unser Urahn ist und von dem ich euch ja schon gesprochen habe. Zusammen bildeten die beiden Familien einen losen Trupp von vierzehn Menschen, die sich wiederum anderen Bauern anschlossen und die wiederum anderen und diese wiederum anderen, und so ging es eine ganze Weile, Tag für Tag, und auch nachts kamen noch welche über die dürren toten Felder den mutigen Auswanderern nachgerannt, sie alle wollten mitgehen ins Gelobte Land, das sich über viele Tausend Fußschritte weit entfernt in wärmeren Winden sonnte. So erzählte man sich Geschichten auf der langen und beschwerlichen Reise, die manche von uns mit nichts anderem als dem Leder ihrer Füße unternahmen, und machte sich gegenseitig immer wieder von neuem Mut.
Darum, gemahnt euch, Kinder, wenn euch eine Aufgabe einmal zu groß erscheinen sollte im Leben, denkt zurück an die, die bei den Büschen wohnten, jene von Bolzwang, und bezwingt euren Kleinmut, eure Eitelkeit und eure Müdigkeit. Denkt daran, wenn der Kopf nicht mehr mag, lasst den Körper tun. So gelingt das Werk.
    Wir, die Boschs, verließen also unseren geliebten Wirmsee und kehrten ihm den Rücken, ihn nie mehr zu sehen, unser ganzes Leben und viele nachfolgende Generationen lang. Einigen fiel das nicht besonders schwer, die Missernte der letzten Jahre hatte sie mürbe und gegen das Heimatland ungnädig gemacht. Andere wollten sich nicht so vor dem Herrgott versündigen und schlossen fortan die Länder nördlich und südlich der Alpen in ihre Gebete mit ein, ohne das eine dem anderen vorzuziehen oder jenes zu Gunsten des anderen zu vernachlässigen.
    Oi, das war ein langer Weg. Und nicht jeder, der losgezogen war, kam auch an. Einige kostete die Wanderschaft das Leben. Anderen bogen sich die Beine krumm. Der Pfad führte steil hinan bis auf die höchsten Gipfel der Welt schönster Alpen, da, wo der ewige Schnee liegt und mit der Abenddämmerung die Schneehasen ihre Tänze feiern. Und in den Wäldern wohnten Wölfe und Bären, man sah ihre Spuren und fürchtete ihren Appetit.
    Aber wie die Überlieferung es will, ist nie einer von uns von einem wilden Tier gerissen worden. Viel eher kamen wir ums Leben durch eigene Unbedachtheit. Man stürzte hinab in eine Felsritze oder in ein tiefes

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