Die Ruinen von Gorlan
heruntersauste.
»Ich hatte tatsächlich überlegt, ob ich leugnen sollte«, gestand er.
Walt sah ihn ernst an. »Wenn du gelogen hättest, Will, wärst du niemals mein Lehrjunge geworden.« Er stand auf, streckte sich und drehte sich zur Tür. »Jetzt lass uns essen.«
H orace ließ seinen Tornister auf den Boden des Schlafsaals fallen und legte sich mit einem Seufzer der Erleichterung auf sein Bett.
Jeder Muskel in seinem Körper schmerzte. Er hatte nicht gewusst, dass man so erschöpft sein konnte und dass es so viele Muskeln im menschlichen Körper gab, die schmerzten. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, ob er es durch die drei Jahre der Heeresschule schaffen würde. Er war gerade mal eine Woche Kadett und bereits ein körperliches Wrack.
Bei seiner Bewerbung für die Heeresschule hatte Horace die Vorstellung von eindrucksvollen Rittern gehabt, die schimmernde Rüstungen trugen und vom einfachen Volk bewundert wurden. Und in seiner Fantasie waren nicht wenige aus diesem Volk hübsche Mädchen gewesen – unter ihnen Jenny, seine Kameradin aus dem Waisenhaus. Für Horace war die Heeresschule ein Ort des Ruhmes und des Abenteuers, und die Kadetten der Schule waren Leute, zu denen die anderen aufblickten und die sie beneideten.
Die Wirklichkeit sah ganz anders aus. Inzwischen waren die Kadetten der Heeresschule Leute, die vor Morgengrauen aufstanden und die Stunde vor dem Frühstück mit harter körperlicher Ausbildung verbrachten, wie zum Beispiel einem Dauerlauf oder Gewichtheben. Erschöpft kehrten sie dann in ihre Quartiere zurück, wo sie die Gelegenheit zu einer kurzen Dusche hatten – natürlich eiskalt –, bevor sie dafür sorgen mussten, dass Schlaf- und Waschräume absolut fleckenlos sauber waren. Die Quartierinspektion, die danach kam, war sehr penibel. Sir Karel, der schlaue alte Ritter, der die Inspektion durchführte, kannte jeden Trick, wenn es darum ging, schlampig beim Säubern des Schlafraumes zu sein, beim Bettenmachen und Aufräumen. Die leichteste Unordnung bei einem der zwanzig Jungen im Schlafsaal bedeutete, dass die Sachen von allen über den Boden verstreut, ihre Betten umgedreht und die Mülleimer auf dem Boden ausgeleert wurden. Das hieß, dass sie wieder von vorne anfangen mussten – in der Zeit, in der sie eigentlich frühstücken sollten.
Entsprechend versuchten neue Kadetten auch nur ein einziges Mal, Sir Karel zum Narren zu halten. Das Frühstück war nichts Besonderes, sondern sehr einfach. Aber wenn man es versäumte, kam einem der harte und anstrengende Vormittag bis zur kurzen zwanzigminütigen Mittagspause noch viel länger vor.
Nach dem Frühstück gab es zwei Stunden Unterricht in Militärgeschichte, Unterweisung in taktischem Vorgehen und so weiter, dann mussten die Kadetten normalerweise den Parcours absolvieren – ein Hindernislauf, der speziell dafür entworfen war, Geschwindigkeit, Beweglichkeit, Gleichgewichtsgefühl und Stärke zu testen. Es gab für den Parcours eine Höchstzeitgrenze. Das Ganze musste in weniger als fünf Minuten absolviert werden, und jeder Kadett, der das nicht schaffte, wurde sofort zum Start zurückgeschickt, um es noch einmal zu versuchen. Es war selten, dass irgendjemand den Parcours schaffte, ohne wenigstens einmal zu versagen. Außerdem wurde die Strecke durch Schlammlöcher, Wasserhindernisse und Gruben voller namenlosem, unangenehmem Zeug erschwert, über dessen Ursprung Horace nicht einmal nachdenken mochte.
Nach dem Hindernislauf gab es Mittagessen, aber wenn man während des Laufes gestürzt war, musste man sich säubern, bevor man den Speisesaal betrat, und das dauerte normalerweise die Hälfte der Zeit, die für die Essenspause veranschlagt war. Entsprechend war Horaces überwältigender Eindruck der ersten Woche an der Heeresschule eine Kombination von schmerzenden Muskeln und beißendem Hunger.
Nach dem Essen gab es wieder Unterricht, dann Turnübungen im Burghof unter der Aufsicht eines der Kadetten vom letzten Jahr. Dann musste die Klasse sich aufstellen und exerzieren. Erst danach hatten sie zwei Stunden für sich, um ihre Ausrüstung zu reinigen und zu reparieren und sich auf die Unterrichtsstunden am nächsten Tag vorzubereiten.
Es sei denn, jemand hatte im Verlauf des Tages ein Vergehen begangen oder auf irgendeine Weise den Unmut eines Lehrers erregt. In diesem Fall durften sie alle ihre Tornister mit Steinen füllen und sich auf einen langen Marsch begeben. Der markierte Weg verlief natürlich nie entlang
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