Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Ruinen von Gorlan

Die Ruinen von Gorlan

Titel: Die Ruinen von Gorlan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Flanagan
Vom Netzwerk:
bequemer Straßen oder Wege. Nein, sie mussten durch unebenes Gelände rennen, die Hügel hinauf und wieder hinunter, durch Flüsse hindurch und durch dorniges Dickicht.
    Horace hatte gerade einen solchen Marsch hinter sich. Am Morgen war einer seiner Klassenkameraden dabei erwischt worden, wie er einem Freund einen Zettel zuschob. Unglücklicherweise enthielt der Zettel nicht einfach nur eine Mitteilung, sondern eine unschmeichelhafte Karikatur des langnasigen Lehrers, der die Klasse unterrichtete. Gleichermaßen unglücklicherweise besaß der Junge ein beträchtliches Zeichentalent und das Bildchen war sofort erkennbar.
    Zur Strafe wurde die Klasse dazu verdonnert, die Tornister zu füllen und zu laufen.
    Während alle den ersten Hügel hinaufrannten, hatte Horace sich nach und nach vom Rest der Jungen gelöst. Auch wenn erst ein paar Tage vergangen waren, zeigte das strikte Regiment der Heeresschule bei Horace erste Wirkung. Er war körperlich in besserer Form als je zuvor in seinem Leben. Hinzu kam, dass er der geborene Athlet war. Auch wenn er sich dessen nicht bewusst war, bewegte er sich mit Anmut und Leichtigkeit, während die anderen sichtlich kämpfen mussten. Je länger der Lauf andauerte, desto mehr setzte sich Horace von den anderen ab. Er rannte locker weiter bergauf und atmete sogar noch durch die Nase. Bis jetzt hatte er nicht viel Gelegenheit gehabt, seine neuen Klassenkameraden näher kennen zu lernen. Die meisten von ihnen hatte er über die Jahre hinweg in der Nähe der Burg oder des Dorfes gesehen, aber als Mündel aufzuwachsen, hatte auch bedeutet, nicht unmittelbar am alltäglichen Leben auf der Burg und im Dorf teilzuhaben. Waisenkinder wurden von den anderen Kindern nicht so leicht anerkannt.
    Die Zeremonie des Wählens war extra für die Waisenkinder erfunden worden. Horace war einer von zwanzig neuen Rekruten des Jahrgangs, doch die anderen neunzehn waren auf dem üblichen Weg an die Heeresschule gekommen – aufgrund von Beziehungen der Eltern, Gönner oder Empfehlung ihrer Lehrer. Dementsprechend wurde Horace neugierig und abwartend beobachtet, und die anderen Jungen hatten bis jetzt keine freundschaftlichen Annäherungen gemacht oder überhaupt irgendeinen echten Versuch, ihn kennen zu lernen. Trotzdem, dachte er und grinste mit grimmiger Befriedigung, ich habe sie beim Lauf alle abgehängt. Keiner der anderen war bereits zurück. Er hatte es allen gezeigt.
    Die Tür zum Schlafraum quietschte in den Angeln und schwere Stiefel stapften auf den Holzdielen. Horace stützte sich auf einen Ellbogen und stöhnte innerlich.
    Bryn, Alda und Jerome marschierten zwischen der Reihe ordentlich gemachter Betten auf ihn zu. Sie waren Kadetten des zweiten Jahrgangs und ihr Lebenssinn schien darin zu bestehen, Horace das Leben zur Hölle zu machen. Schnell schwang er seine Beine über die Bettseite und stand auf, aber nicht schnell genug.
    »Was liegst du denn da im Bett?«, schrie Alda ihn an. »Wer hat dir das erlaubt?«
    Bryn und Jerome grinsten. Sie genossen Aldas Beleidigungen. Die waren zwar nicht besonders originell, aber das wurde stets durch die folgenden körperlichen Schikanen wettgemacht.
    »Zwanzig Liegestützen!«, befahl Bryn. »Sofort!«
    Horace zögerte einen Moment. Er war größer als sie alle. Wenn es zu einem Kampf käme, könnte er bestimmt jeden von ihnen schlagen. Aber sie waren zu dritt. Und außerdem hatten sie die Autorität der Tradition hinter sich. Soweit Horace wusste, war es üblich, dass die Kadetten des zweiten Jahrgangs die Anfänger so behandelten, und er konnte sich den Hohn seiner Klassenkameraden vorstellen, wenn er sich bei einer übergeordneten Stelle beschwerte. Niemand mag eine Petze oder Heulsuse, sagte er sich und ließ sich zu Boden fallen. Doch Bryn hatte das Zögern und vielleicht auch das Aufflackern von Rebellion in seinen Augen bemerkt.
    »Dreißig Liegestützen!«, fuhr er ihn an. »Und zwar sofort!«
    Sämtliche Muskeln protestierten, trotzdem streckte Horace sich in voller Länge auf dem Boden aus und begann mit den Liegestützen. Da spürte er einen Fuß im Rücken, der ihn niederdrückte, sobald er sich vom Boden stemmte.
    »Komm schon, Wurm!« Das war jetzt Jerome. »Ein bisschen mehr Anstrengung!«
    Horace bemühte sich, die Liegestütze zu Ende zu bringen. Jerome schaffte es, genau den richtigen Druck auszuüben. Noch etwas mehr und Horace hätte die Übung nicht durchführen können. Als besondere Gemeinheit presste der Kadett des zweiten

Weitere Kostenlose Bücher