Die Ruinen von Gorlan
Pfeil heraus und legte ihn an die Bogensehne.
»Walt?« Er versuchte, ruhig zu bleiben, doch unwillkürlich zitterte seine Stimme. Ob sein Pfeil ein angreifendes Wildschwein aufhalten würde? Wohl eher nicht.
Walt drehte sich um und sah den angelegten Pfeil an Wills Bogen und die Richtung, in die Will blickte. »Ich hoffe, du denkst nicht daran, den armen alten Bauern zu erschießen, der sich da hinter den Büschen versteckt«, sagte er voller Ernst und hob dabei die Stimme so, dass sie deutlich über die Lichtung zum Gebüsch getragen wurde.
Sofort bewegte sich jemand dahinter und Will hörte eine angstvolle Stimme ausrufen: »Nicht schießen, guter Herr! Bitte nicht schießen!«.
Die Büsche teilten sich und ein zerzaust und ängstlich aussehender alter Mann stolperte heraus. Durch seine Hast verfing sich sein Fuß in einem Zweig und der Mann fiel kopfüber in den Schnee. Unbeholfen rappelte er sich wieder hoch, streckte die Hände von sich, mit den Handflächen nach oben, um zu zeigen, dass er keine Waffen trug. Während er näher kam, brabbelte er immer weiter: »Bin nur ich, Sir! Nicht schießen, guter Herr! Bin nur ich, ich schwöre es, und ich bin keine Gefahr für Herren wie Euch!«
Er rannte auf sie zu, den Blick immer auf die Waffe in Wills Händen gerichtet und auf die schimmernde, rasiermesserscharfe Spitze des Pfeils. Langsam senkte Will den Bogen und betrachtete den Mann genauer. Er war mager und trug einen abgerissenen und schmutzigen Bauernkittel, hatte lange, dünne Arme und Beine und knochige Ellbogen und Knie. Sein Bart war grau und verfilzt und er hatte nur noch wenige Haare auf dem Kopf.
Der Mann blieb nun ein paar Meter vor ihnen stehen und lächelte die beiden Reiter unsicher an.
»Bin nur ich«, wiederholte er ein letztes Mal.
W ill musste unwillkürlich lächeln. Er konnte sich kaum etwas vorstellen, was weniger einem gefährlichen Wildschwein ähnelte. »Woher habt Ihr gewusst, dass er da war?«, fragte er Walt leise.
Der Waldläufer zuckte mit den Schultern. »Ich habe ihn schon vor ein paar Minuten entdeckt. Du wirst es mit der Zeit ebenfalls spüren, wenn dich jemand beobachtet.«
Will schüttelte bewundernd den Kopf. Walts Beobachtungsgabe war geradezu unheimlich. Kein Wunder, dass das Gesinde in der Burg solche Ehrfurcht vor ihm hatte!
»Also«, sagte Walt nun streng. »Was hast du dort gemacht? Wer hat dir befohlen, uns auszuspionieren?«
Der alte Mann faltete nervös die Hände. Sein Blick wanderte von Walts düsterem Gesichtsausdruck zu Wills Pfeil, der jetzt zwar gesenkt war, aber immer noch am Bogen anlag.
»Ich habe nicht spioniert, Sir! Nein, gewiss nicht! Habe nicht spioniert. Ich hörte Euch kommen und dachte, die Riesensau kommt zurück!«
Walt zog die Augenbrauen zusammen. »Du dachtest, ich sei ein Wildschwein?«, fragte er nach.
Wieder schüttelte der Bauer den Kopf. »Nein, nein!«, stieß er hervor. »Jedenfalls nicht, sobald ich Euch sah. Aber ich konnte ja auch nicht wissen, wer Ihr seid. Hätten ja auch zum Beispiel Räuber sein können.«
»Was machst du hier?«, fragte Walt. »Du bist nicht aus der Gegend, oder?«
Der Bauer schüttelte eifrig den Kopf. »Komme von drüben, von der Weidenbaumschlucht, jawohl!«, erklärte er. »Hab diese Wildsau verfolgt und gehofft, jemanden zu finden, der sie in Speck verwandelt.«
Walt war mit einem Mal äußerst interessiert. »Dann hast du das Tier gesehen?«, fragte er, und der Bauer sah sich angstvoll um, als fürchte er, dass das Wildschwein jeden Augenblick aus dem Wald stürmen würde.
»Hab’s gesehen. Hab’s gehört. Möchte es nicht noch mal aus der Nähe sehen. Ist’n böses Vieh, Sir, könnt Ihr mir glauben.«
Walt warf noch einmal einen Blick auf die Spuren. »Groß ist es jedenfalls«, meinte er.
»Und böse, Sir!«, fuhr der Bauer fort. »Das Vieh hat vielleicht ein Mütchen. Es würde ’nen Mann oder ein ganzes Pferd zum Frühstück verschlingen, das würde es.«
»Und was hattest du mit ihm vor?«, fragte Walt und fügte hinzu: »Wie heißt du überhaupt?«
Der Bauer beugte den Kopf und hob ungelenk die Hand an die Stirn zu einem Gruß. »Peter, Sir. Salz-Peter nennt man mich, weil ich immer gern ein wenig Salz auf meinem Fleisch mag, jawohl.«
Walt nickte. »Ach ja?«, erwiderte er geduldig. »Aber sag mir, was wolltest du denn mit diesem gefährlichen Wildschwein machen?«
Salz-Peter kratzte sich am Kopf und sah ein wenig hilflos aus. »Weiß auch nicht so genau. Hatte gehofft, ich
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