Die Runen der Macht - Der verfluchte Prinz (German Edition)
Ihre Mundpartie wirkte so entschlossen wie Sorchas.
Merrick eilte zu Nynnia, küsste sie auf die Wange und verzichtete nur aus Achtung vor ihrem Vater darauf, ihr einen Kuss auf die Lippen zu geben. »Wo warst du?«, fragte er und strich ihr leicht durchs Haar. »Die Halle ist eingestürzt und …«
Ihre Stimme kam so leise, dass Raed die Ohren spitzte. »Ich musste meinen Vater suchen. Tut mir leid.«
»Es war unglaublich«, sagte Merrick und schaute sich nach seiner Partnerin um, die sie noch immer wütend anfunkelte. »Ich weiß nicht, was passiert ist. Ich meine, ich sollte tot sein …«
»Wir sollten alle tot sein.« Kyrix wischte sich Blut aus dem Mundwinkel und sah sie mit dunklen Augen an. »Ich wusste seit Monaten, dass mit Priorin Aulis etwas nicht stimmt.«
»Nun, darum haben wir uns gekümmert«, fuhr Sorcha ihn an. »Merrick hat verhindert, was immer diese verrückte alte Schachtel vorhatte. Eure Tochter hätte das gesehen, wenn sie …«
»Arrogante Diakone wie Ihr haben Aulis ermöglicht, sich durchzusetzen.« Die Worte des Alten trafen selbst die unerschütterliche Sorcha. Er hob eine zitternde Hand und tätschelte den Arm seiner Tochter. »Ihr hattet Glück, dass Nynnia hier war, um Euren Partner zu retten.«
Sorcha blinzelte, ihre Stirn verdüsterte sich, und ein gefährlicher Sturm zog auf. Raed hoffte, der Alte würde schnell erklären, was er meinte.
»Du warst das?« Merrick begriff als Erster und lächelte ein breites Grinsen, das so hell war wie das seiner Partnerin dunkel. »Du hast mich gerettet!«
»Sie ist eine Heilerin, genau wie ihr Vater.« Kyrix richtete sich nicht ohne Schmerz auf, und sein geschundenes Gesicht strahlte vor Stolz.
Raed hatte in seinem Leben nur wenige Wunder gesehen, und Nynnia hatte keinen Wehrstein. Er konnte sich nicht vorstellen, wie das Mädchen diese Leistung vollbracht hatte. »Ich hätte nicht geglaubt, dass jemand, der so viel Blut verloren hat, sich noch auf den Beinen halten kann.« Er sah Sorcha an und fing sich einen bösen Blick ein.
Das Mädchen wandte die Augen ab. »Ich habe nur getan, was ich tun musste. Das Wichtige ist, dass Vater mehr von ihren Plänen gehört hat.«
»Und sie gehen weit, weit über das hier hinaus.« Kyrix wedelte schwach mit den Händen. »Das hier … nun, ich fürchte, das ist nur der Anfang.«
Raed warf einen Blick auf die halb zerschmetterte Leiche der ehemaligen Priorin. »Warum kann nichts in meinem Leben einfach sein?« Als er merkte, dass alle ihn ansahen, stieß er einen Seufzer aus. »Fahrt bitte fort.«
»Kommt her.« Der alte Mann zog ein Bündel Papiere aus seinem Umhang. »Ich habe Aulis dabei überrascht, wie sie diese Unterlagen verbrannt hat, und konnte sie aus den Flammen reißen – aber einer ihrer Gefolgsleute nahm Anstoß an meinem Tun.« Er deutete beinahe entschuldigend auf sein zerschlagenes Gesicht.
»Du hättest so etwas nicht tun sollen.« Nynnia biss sich auf die Lippe.
»Unsinn, Kind.« Kyrix sah sie ernst an und breitete dann das größte Papier auf einer umgestürzten Säule aus. Es war eine Karte der unmittelbaren Umgebung von Vermillion.
»In sechs anderen Klöstern ist das Gleiche passiert.« Nynnias Vater zeigte auf die Stellen. »Sieben Diakonpaare sollten heute Nacht sterben, aber Ihr wart keine willigen Opfer.« Er bückte sich und hob den Foki auf, den Raed beiseitegetreten hatte. Als er ihn umdrehte, waren rings am Rand der silbernen Scheibe sechs verbrannte Zeichen zu erkennen.
»Durnis«, hörte Raed Sorcha flüstern und sah, wie ihr Gesicht sich in Zorn oder Verzweiflung verzerrte.
»Der Kaiser würde so etwas nicht zulassen!« Merrick beeilte sich, seinen Herrscher zu verteidigen.
Raed bemerkte jedoch, dass Sorcha das nicht tat. Sie kaute auf der Lippe und blickte auf die Handschuhe in ihrem Taillenbund. »Presbyter Rictun erteilt die Aufträge, Merrick – aber diesen haben wir nicht von ihm bekommen. Das Schriftrollenetui kam vom Kaiser persönlich.«
Egal, was das für das Reich bedeutete: Raed verspürte ein warmes Gefühl im Magen. Endlich hatte Kaleva sein wahres Gesicht gezeigt. Das gemeine Volk würde den Umgang mit Kreaturen aus der Anderwelt wohl kaum verzeihen.
Ihr Partner musste Sorchas Zweifel durch die Verbindung gespürt haben, denn er fuhr herum. »Nicht der Kaiser – er ist ein großer Mann, Sorcha. Denkt an all das Gute, das er getan hat!«
»Warum hat er dann …« Sorcha räusperte sich und sah ihn mit stählernem Blick an. »Warum hat
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