Die Runen der Macht - Der verfluchte Prinz (German Edition)
hätte kein besseres Bild von einer vollkommen entspannten und gesättigten Frau malen können. Sie sah nicht aus wie eine Frau, die Geister herausfordern und es mit der Anderwelt aufnehmen konnte, aber es erfüllte ihn mit eigenartiger Erregung zu wissen, dass sie genau dazu imstande war.
Er dachte an die zwei letzten Tage – die angenehmsten seines Lebens. Selbst ein Prätendent hatte die Chance auf einen Thron, und viele Adelige hatten ihm ihre Töchter an den Hals geworfen, zumindest vor Ausbruch des Fluchs. Als junger Mann war er mit diesen Mädchen auf seine Kosten gekommen, erinnerte sich jedoch nicht, dass eine von ihnen der Diakonin das Wasser hätte reichen können. Die Situation war ungemein kompliziert, und doch bereute er nichts – bis auf die Tatsache, dass sie nicht die Seine werden konnte. Aber so lagen die Dinge nun mal.
Es klopfte wieder, beharrlicher diesmal. Er befreite sich von der Melancholie, die ihn beschlichen hatte, glitt aus dem Bett, wickelte sich das Laken um die Hüften, ging zur Tür und drehte den steif gewordenen Hals.
Merrick stand mit erhobenen Knöcheln da und wollte eben erneut klopfen. Die beiden Männer sahen einander für eine Sekunde an, gefangen in einem peinlichen Moment, der eine gute Wirtshausgeschichte abgegeben hätte. Es war jedoch der junge Diakon, der rot anlief, tiefrot. Dieser Jungspund war doch wohl nicht prüde? »Was gibt’s, Merrick?« Raed grinste.
Der Diakon schaute zu ihm auf, aber seine Augen weigerten sich, dem Blick des Prätendenten zu begegnen. »Wir haben Glück, haben einen guten Wind erwischt, und die Kapitänin sagt, wir dürften in etwa einer Stunde in Vermillion landen.«
Raeds Magen zog sich zusammen, als wären sie gerade vom Himmel gefallen. Er räusperte sich. »Vielen Dank … wir … ich …« Er brach ab. »Wir treffen Euch am Steuer.«
Als er die Tür schloss, hörte er, wie Sorcha sich regte, und beim Umdrehen sah er auf ihrem Gesicht die gleiche Enttäuschung, die er auf seinem spüren konnte. Ihre blauen Augen, eben noch vor Lust halb geschlossen, waren jetzt scharf wie Lichtstrahlen. Er sah die Diakonin in ihr langsam wieder das Kommando übernehmen.
Sie kletterte aus dem schwankenden Bett und lächelte ihn breit an. So müde er war, begehrte Raed sie noch immer, und hätten Merrick und seine schlechten Neuigkeiten sie nicht gestört, hätten sie noch einen Tag eng umschlungen verbracht.
Sorcha machte keine Anstalten, ihre Nacktheit zu bedecken, als würde sie dadurch den Zauber zerstören. Sie kam auf ihn zu und umarmte ihn mit einem kleinen Seufzer. Er zog sie fest an sich und beugte sich leicht vor, um möglichst viel von ihr an sich zu drücken. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Keiner von beiden wollte nach draußen gehen und sich der realen Welt stellen, einer Welt, in der er ein Flüchtling war und sie eine verheiratete Diakonin des Ordens, aber sie hatten keine andere Wahl.
Die Diakonin sprach als Erste. »Ich danke dir«, flüsterte sie ihm ins Ohr.
Sie kleideten sich schweigend an. Raed teilte sich einen Krug Wasser und einen Lappen mit ihr, wobei er die Gelegenheit nutzte, sich die Flächen und Wölbungen ihres Körpers einzuprägen. Es herrschte keine Spannung – nur Traurigkeit. Dann hielt er die Tür auf und ließ sie vorangehen. Raed wollte etwas sagen, aber er wusste, dass sie nicht die Frau war, die in leeren Versprechungen Trost fand.
Merrick war nicht draußen, doch auf der Promenade wartete die schlanke Gestalt von Nynnia und hielt sich an einem der Seile. Jetzt drehte sie sich um, und es war, als würden sie von einem anderen Wesen betrachtet. Raed war plötzlich angespannt. Er hatte eine solche Miene mehr als einmal bei Meuchelmördern gesehen. Blitzartig wurde ihm klar, wie wenig sie von dieser Frau wussten. Sie hatte Merrick verzaubert und Sorcha so eingewickelt, dass die praktisch blind war. Tief in seinem Innern regte sich die Bestie, die etwas an ihr erkannte.
»Ich glaube, Merrick wartet am Steuer auf Euch. Ich muss mich um meinen Vater kümmern.« Sie drehte sich auf dem Absatz um und schritt davon. Raed bemerkte, dass ihr Gang sich mit wachsender Entfernung von einem aggressiven Schreiten zu dem sanften Huschen veränderte, das er früher an ihr beobachtet hatte. Es war, als rückte sie eine Maske zurecht.
Sorcha musste auch etwas bemerkt haben. »Denkst du wirklich, wir können ihr trauen?«, wollte sie wissen. »Die beiden letzten Wochen gingen so weit über meine Ausbildung
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