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Die Runen der Macht - Der verfluchte Prinz (German Edition)

Die Runen der Macht - Der verfluchte Prinz (German Edition)

Titel: Die Runen der Macht - Der verfluchte Prinz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Ballantine
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etwas zu bemerken, das er vielleicht übersehen hatte. Doch der Leichnam vor ihm schien bereits alles preisgegeben zu haben. Der Riemen war etwas anderes. Es war ein intimer Gegenstand, der mit einem anderen Sensiblen persönlich verbunden war, und sie war gestorben, als sie ihn getragen hatte. Merrick war nicht so dumm, ihn aufzuheben, obwohl er aussah, als wäre er zerstört.
    Ein Geräusch, das zarteste Geräusch im Äther, ließ ihn herumfahren und nach seinem Säbel greifen. Es war nichts Sterbliches. Ein anderer Teil der toten Sensiblen verharrte noch immer in der Dunkelheit des Kellers. Vorsichtig erhob Merrick sich.
    Das unlebende Ding huschte wie eine unproportionierte Ratte zwischen den Fässern umher. Er erkannte es sofort – ein Schattenwesen. Sterbliche gelangten normalerweise in die Anderwelt, wenn die sie im Moment des Todes berührte. Wurden sie aber von den Unlebenden berührt, verwandelten sie sich in Schatten. Dieser Geist war ein Schatten, der speziell aus Sensiblen geschaffen worden war. Wurden Sensible getötet, während ihr Zentrum sich außerhalb des Körpers befand, zersprang es, und die Stücke konnten zu Schattenwesen werden.
    Merrick holte sein Zentrum schnell wieder zurück. Er wollte nicht riskieren, dass ihm das Gleiche widerfuhr – selbst der Tod war dem vorzuziehen. Er wusste, dass er einige leichte Zauber anwenden, nach oben zurückkehren und einen der Aktiven bitten sollte, den Schattengeist so schnell wie möglich auszutreiben.
    Es war nur ein winziger Geist, ein Streifen reiner Schwärze, der außerstande schien, aus dem Raum zu finden. Er besaß keine körperliche Präsenz, aber während er noch herumstolperte, rollten Fässer zur Seite, und Staub wirbelte auf. Der Geist tat Merrick richtig leid.
    Unentschlossen betrachtete er seine tote Kollegin. Wenn die Aktiven kämen, würden sie den Schatten – das Einzige, was von der namenlosen Diakonin noch übrig war – in kürzester Zeit in die Anderwelt zurückbefördern.
    »Bei den Knochen«, fluchte er über seine Verwegenheit. Wüssten seine Lehrer in der Abtei, was er vorhatte, würden sie einen Anfall bekommen.
    Merrick streckte die Hand nach dem Schattenwesen aus – mehr noch, er streckte sein Zentrum nach ihm aus. Der Schatten wirbelte herum, als er Wärme und Sensibilität spürte, und fühlte sich davon angezogen wie ein wahnsinniger Magnet.
    Der Teilschatten der toten Frau fuhr in Merrick hinein und schloss sich in seinem Zentrum ein. Ein Stück der Anderwelt so in sich aufzunehmen untersagten die Lehren der Abtei, aber die Zeit, Verboten zu gehorchen, war lange vorbei. Wenn die Unlebenden aufgehört hatten, die Regeln zu befolgen, dann würde auch er gegen sie verstoßen.
    Der Schatten verschmolz mit ihm und wurde Teil seiner Seele, ein schmaler Streifen wie eine Narbe, die Merrick für immer tragen würde. Aber er brachte Erinnerungen mit, aufblitzende Bilder, die die junge Diakonin gesehen hatte.
    Schweiß trat Merrick auf die Stirn. Zitternd erhob er sich und ging zur Leiche. »Illas«, nannte er sie leise beim Namen. »Arme, tapfere Illas.«
    Er rollte sie sanft herum. Durch das Schattenwesen wusste er, was er unter ihr finden würde, aber er musste es trotzdem sehen.
    Die Leiche der Diakonin gab ein leises Seufzen von sich, als die letzte Luft aus ihren Lungen wich. Unter ihr befanden sich die Male. Er wusste, dass sie dort sein würden, doch er hatte sich davor gefürchtet.
    Fünf tiefe Rillen hatten den Stein zerstört, ihn wie Stoff zerrissen. Sie waren durch den Körper der Diakonin gegangen und hatten sie getötet, ohne eine Spur zu hinterlassen. Nur der Stein offenbarte, was sie wirklich umgebracht hatte.
    Merrick atmete vernehmlich aus, hockte sich auf und starrte die Male an. Sie waren ihm vertraut, denn sie verfolgten ihn in seinen Albträumen, seit er sieben war. Fünf Rillen im Stein, wie sie über der Treppe dort eingekratzt gewesen waren, wo sein Vater in jener furchtbaren Nacht gestanden hatte. Sie hatten eine Diakonin den ganzen Weg von Delmaire anreisen lassen, um ihm zu helfen, und es hatte in einer Katastrophe geendet. Wie von fern hörte er sich erstickt aufkeuchen.
    Dann stürzte er sich gefährlich tief in die Erinnerung des Schattens. Es war nicht der Moment ihres Todes gewesen, den Diakonin Illas verzweifelt zu erhalten versucht hatte, nicht einmal die Erinnerung an die Nacht, in der sie gestorben war.
    Durch die Augen seiner Landsfrau beobachtete Merrick, wie Priorin Aulis den Befehl gab –

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